«Plakativ sein liegt mir nicht»

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14.09.2016
Niklaus Peter, Pfarrer am Fraumünster in Zürich, ist mit seinen Beiträgen im Tagi-Magazin und in der NZZ der bekannteste reformierte Kolumnist. Er spürt eine Sehnsucht nach Texten mit Tiefe und bedauert es, dass die aktuelle Zeit keine herausragenden Köpfe wie Luther oder Zwingli hervorbringt.

Während seine Frau im Nebenzimmer Cello übt, sitzt Niklaus Peter an seinem Schreibtisch und versucht zu erklären, warum ihm gute Sprache so ein Anliegen ist. Warum das Intellektuelle durchaus auch im heutigen Journalismus noch Platz haben sollte, und die Religion sowieso. Er ist ein belesener, kluger Mann, ein Verkünder, wie er von sich selbst sagt, «kein Missionierer aber». Meinungen aufzwingen, das wäre ihm peinlich. Viel angenehmer sind ihm seine regelmässigen Kolumnen im Magazin des Tagesanzeigers und seine Beiträge in der NZZ. Er findet, eine «differenzierte, aber liebevolle Auseinandersetzung mit Religion ist untervertreten». Dabei hätten die Menschen heute noch immer Sehnsucht nach Texten mit Tiefe.

Manche durchschriebene Nacht
Angefangen hat das Schreiben für Zeitungen vor über 30 Jahren, die NZZ hatte ihn angefragt, ob er nicht Rezensionen theologischer Bücher schreiben wolle. Er war damals schon als Redaktor bei der Zeitschrift «Reformatio» tätig, die in eben diesem alten Haus an der Kämbelgasse 2, in dem er nun auch privat wohnt, gegründet worden war. Manchmal fügt sich im Leben eben alles irgendwie.

Das Schreiben zieht sich durch seine Biographie wie sein Pfarrersein. Und er geht beides sehr sorgfältig an: Er arbeitet noch immer an jedem Text, an jeder Predigt so lange, bis er damit zufrieden ist. Da kann es schon mal passieren, dass er Nächte durchschreibt, Anfänge streicht, Titel neu setzt. Für Peter ist selten etwas wirklich trivial, der Glaube nicht, der Text nicht, die Predigt nicht.

Auch als Prediger einen Namen
Seit 2004 ist der in Zürich geborene Peter am Fraumünster tätig, als Nachfolger von Klaus Guggisberg. Nach Studien in Basel und Berlin und einem Studienaufenthalt in Princeton promovierte Peter mit einer Arbeit zu Franz Overbeck, dem streitbaren Theologen und Freund Friedrich Nietzsches. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn er sagt, es komme nicht von irgendwoher, dass er für die NZZ schreibe und nicht für den Blick, «plakativ sein liegt mir nicht».

Peter liebt die Auseinandersetzung, die Tiefe, das Brüten über den Dingen. Peter hat sich auch als Prediger einen grossen Namen gemacht, predigt an Kunstevents wie der Manifesta 11 oder prämiert im Rahmen seiner Jurytätigkeit beim «Schweizer Predigtpreis» besonders gelungene Predigten seiner Kollegen.

Der 60-Jährige selbst sieht sich dabei im Mittelfeld, eine Mischung zwischen anspruchsvoll und bescheiden, gradlinig, aber kein Genie, fleissig, interessiert. Er bedauert, dass die aktuelle Zeit keine herausragenden theologischen Köpfe hervorbringt, «niemanden, der mit einer gewissen Strahlkraft voranschreitet», so jemanden wie Luther oder Zwingli. Er wünschte sich, dass es mehr Theologen gäbe, die ihre Stimme erheben, in der Gesellschaft, auf der Kanzel.

«Es ist nicht wurst, was in der Zeitung erscheint, und es ist auch nicht wurst, wie man auf einer Kanzel steht», sagt er entschieden. Heute werde zu oft «Wohlfühlchristentum» verkündet, meint er. Wer von nichts Tiefgreifenderem als der eigenen Erfahrung und seinen Gefühlen spreche, habe den Wortschatz der Bibel mit ihrem radikalen (sozialen) Kern aufgegeben, sagte er einmal im Rahmen einer Reformationsfeier in St. Gallen.

Ob das, was er schreibt und sagt, am Ende populär ist, von einer Masse gelesen, von einer Menge geliebt, das ist ihm ziemlich gleichgültig. Populär sein, das ist für Niklaus Peter keine Grösse. Vielleicht ist er deshalb so öffentlichkeitswirksam.

Die Bibel ist Kultur
Peter tanzt auf vielen Bühnen, aber immer mit klarem Fokus: Der Pfarrer und Kolumnist versteht sich als Übersetzer. Damit die Leute merken: Diese geistige Welt, die der Bibel, die der Literatur, das ist auch unsere Welt, unsere Wirklichkeit. Das ist nicht irgendein altes Schriftstück, das niemanden mehr interessiert. Das ist Kultur. Das hat Wert. Für uns alle. Es sei die Aufgabe der Theologen, eine warme und lebendige Sprache zu sprechen, sagt er, «auch wenn man über Religion spricht». Gute Journalisten haben eine gute Sprache. Und gute Theologen eben auch.

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

Anna Miller / Kirchenbote / 14. September 2016

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