Christliche Werte nicht «weichspülen»

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07.08.2017
Sie soll zusätzlich frischen Wind aus den Reihen der Laien in das höchste Gremium der evangelischen Kirchen der Schweiz einbringen: die Vizepräsidentin des Thurgauer Kirchenrates und Versicherungsfachfrau Ruth Pfister. Ein «Annäherungsversuch» an eine engagierte Frau, die sich in ein Amt wählen liess, das für viele Kirchbürgerinnen und Kirchbürger kaum greifbar ist.

Ruth Pfister gewann an der Abgeordnetenversammlung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) die Wahl in den Rat des SEK gegen ihre beiden Mitbewerber, die beiden Theologen Pierre-Philippe Blaser und Martin Schmidt, die als Kirchenratspräsidenten in den Kantonen Freiburg und St. Gallen wirken. Dies dürfte letztlich einer der Hauptgründe für die überraschende Wahl gewesen sein: Die Abgeordneten wünschten sich eine ausgewogenere Vertretung von Laien im Rat.

«Multiregionale» Volksvertreterin

Ruth Pfister punktete aber noch aus einem anderen Grund: dank ihrer Mehrsprachigkeit. Sie hat ein Jahr lang in Neuenburg gearbeitet und kann sich nicht nur auf Französisch, sondern auch auf Italienisch unterhalten. Zudem ist sie gewissermassen in drei Regionen zu Hause: Die Amriswilerin liebt es, sich zur Erholung oder für inspiriertes Arbeiten in die Bündner Berge nach Davos oder ins Maggiatal im Tessin zurückzuziehen und Kontakte zur einheimischen Bevölkerung zu pflegen: «Ich geniesse es, die unterschiedlichen Gottesdienste zu besuchen.»

Dementsprechend hat sie bei den Westschweizer Kirchen bereits angekündigt, dass sie die Verantwortlichen möglichst bald persönlich kennenlernen und ihnen den Puls fühlen möchte. Sie sei sich bewusst, dass die Bedürfnisse und Realitäten in jeder Kantonalkirche unterschiedlich seien. Dies gelte es zu berücksichtigen und positiv zu nutzen. Genau deshalb brauche es auf nationaler Ebene den SEK: «Wir brauchen in dieser Vielfalt eine gewisse Einheit. Gegenwärtig läuft ja die Diskussion um die Kirchenverfassung des SEK. Konzentrieren wir uns dabei doch darauf, dass es den anderen auch gut geht und dass sie sich wohl fühlen. Man soll spüren, dass wir alle zusammengehören.»

SEK als «Stimme» und «Gesicht»

Sie sei überzeugt, dass es auf nationaler Ebene den SEK als Stimme und Gesicht der Evangelischen brauche, sagt Pfister: «Es reizt mich, gesamtschweizerisch tätig zu sein. Ich möchte dazu beitragen, dass der Informationsfluss gut ist und dass sich die Kantonalkirchen gegenseitig bereichern können. Jede Landeskirche soll ihre Stärken einbringen. Darauf müssen wir uns fokussieren», ist Pfister überzeugt.

Eines stellt sie von Beginn klar: «Die Praxisorientierung und Alltagstauglichkeit der Kirche ist mir ein Anliegen. Ich habe in meinen Tätigkeiten in der Versicherungsbranche gelernt, dass der Kunde König ist. Das muss auch unsere kirchliche Basis spüren. Die Kirchgemeinden sollen erfahren, dass ihnen der SEK einen Mehrwert bietet.» Diese Devise hatte sie als Projektleiterin bei der Einführung der gemeinsamen Finanzbuchhaltungssoftware für evangelische und katholische Kirchgemeinden im Thurgau (kurz: «ökFibu») immer vor Augen. Indes räumt sie ein, dass selbst sie als langjährige Vizepräsidentin und Kirchgemeindepräsidentin in Amriswil nicht viel vom SEK gespürt hat. Sie hat nun die Chance mitzuhelfen, das Blatt zu wenden.

«Herz für die Jugend»

Das Zeug dazu hat die dreifache Mutter junger Erwachsener, baut sie doch in ihrer Funktion als verantwortliche Kirchenrätin für das Ressort «Kirche, Kind und Jugend» voll auf die jüngere Generation, die es gut einzubinden gelte: «Ich habe ein Herz für die Jugend.» Schon in der Wirtschaft war ihr das wichtig, unterrichtete sie Lernenden doch Branchenkunde.

Ruth Pfister hat selber jahrelang Kindergottesdienst erteilt. Das evangelische Jugendfestival «Reformaction» liegt ihr besonders am Herzen: Vom 3. bis 5. November werden in Genf viele Jugendliche aus der ganzen Schweiz erwartet. Dass sie es nicht bei Worthülsen belassen will, beweist der Entscheid des Thurgauer Kirchenrates, allen Jugendlichen aus dem Thurgau die Reise an den Grossevent zu zahlen. Mit Erfolg: Der Thurgau stellt bereits jetzt mit Abstand die meisten Teilnehmenden, nämlich über 400.

«Botschaft standfest vertreten»

Die Kirche der Zukunft stellt sie sich «wachsam, volksnah und realistisch» vor, und sie wolle den Glauben als «coole Sache» den Menschen näher bringen. Dabei sei die Mitarbeit von Laien in den Kirchgemeinden wichtig. Und es gelte, «unsere frohe Botschaft und Werte standfest zu vertreten. Unsere christlichen Gebote dürfen nicht ‹weichgespült› werden.» Gerne begründet Ruth Pfister die Motivation für ihre Arbeit zugunsten der Kirche mit einem Satz aus ihrer Konfirmationsurkunde: «Du bist aufgerufen, am Aufbau der Gemeinde und des Friedens der Welt mitzuarbeiten.» Das sei heute wichtiger denn je.

Grosses Engagement

Ruth Pfister schätzt das Pensum im Rat des SEK auf rund 30 Stellenprozent. Dafür kann sie diverse Projekte in der Thurgauer Landeskirche in andere Hände übergeben. Der Aufwand sei aber in erster Linie abhängig vom persönlichen Engagement. Wie sie es schon in ihrer Kirchgemeinde und im kantonalen Kirchenrat getan hat, schlägt Ruth Pfister bereits in diesen Wochen einen schnellen Rhythmus ein: Sie will sich rasch einarbeiten und Menschen in der ganzen Schweiz kennenlernen, um am 1. Januar 2018 das Amt offiziell anzutreten.


(Roman Salzmann, 7. August 2017)

 

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