Von Echsenmenschen und Schlafschafen

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21.09.2022
Der Religionsexperte Georg Otto Schmid hat sich mit Verschwörungstheorien beschäftigt. In Allschwil erklärte er, wie man sie erkennt und wie man Betroffenen helfen kann.

Georg Otto Schmid, Leiter der Evangelischen Informationsstelle relinfo, hielt in der Kirchgemeinde Allschwil einen Vortrag zum Thema «Verschwörungstheorien – Zwischen Fake und Fact». Der Religionsexperte erklärte, an welchen Merkmalen man eine Verschwörungstheorie erkennt, welche Menschen besonders gefährdet sind, ihnen zu erliegen, und wie man ihnen helfen kann, den Weg aus dem «Kaninchenbau» zu finden.

Der Begriff «Verschwörungstheorie» sei seit dem 18. Jahrhundert gebräuchlich, so Schmid, er stelle keine Theorie im wissenschaftlichen Sinn dar, sondern entspreche einer unbewiesenen Behauptung, ob diese richtig oder falsch sei, bleibe erst einmal offen. Manche Verschwörungstheorien erweisen sich als real – in der Schweiz etwa die Fichen-Affäre oder die Geheimarmee P26 –, manche bleiben Glaubenssache. Schmid betonte, dass man jede Theorie erst einmal ernst nehmen und auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen muss, auch dürfe man immer Fragen stellen. Bis heute sei zum Beispiel nicht geklärt, ob Präsident Kennedy von einem Einzeltäter ermordet wurde oder ob Lee Harvey Oswald Komplizen hatte. Andererseits sei Elvis Presley erwiesenermassen tot, dennoch wird er immer wieder gesichtet. Solchen Verschwörungsglauben bezeichnete Georg Schmid als harmlos.

Gefährlicher Antisemitismus
Problematisch werde es, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse abgelehnt würden, wie bei den so genannten Chemtrails, bei Impfungen oder Covid. Und richtig gefährlich werde es, wenn die Verschwörungstheorien antisemitisch sind, zum Beispiel wenn der US-amerikanische Investor und Philanthrop George Soros als Drahtzieher der Globalisierung für eine angeblich von Juden, Freimaurern und Kommunisten angestrebte Weltherrschaft diffamiert wird. Wer an Theorien glaube, die den Fakten nicht standhalten, sei verschwörungsgläubig, sagte Georg Schmid. Und je mehr Merkmale eine Verschwörungstheorie erfülle, umso gefährlicher sei sie.

Anhand der Bewegung «Lichtarbeit», die in der Schweiz aktiv ist, zählte Schmid die Merkmale von Verschwörungstheorien auf. Die radikal esoterische Sekte verspricht ihren Mitgliedern nichts weniger als die Erleuchtung. Unterstützt von ausserirdischen Engelwesen erlangt man in verschiedenen Stufen die körperlich-geistige Freiheit. Wer solches nicht glaubt, gilt als unwissend, als «Schlafschaf», das aufgeweckt werden muss. Dieser Elitarismus zeichne Verschwörungstheorien aus. Andere Merkmale und Alarmzeichen sind schädliche Gesundheitstipps, oder wenn jemand zu kritischen Bekannten und Verwandten den Kontakt abbricht. Verschwörungstheorien zeigen oft antidemokratische Tendenzen und bieten simple Rezepte, um sich die heile Welt zu erschaffen – alles erscheint belebt, Zufälle gibt es nicht.

Der Weltuntergang wird verschoben
Zudem machen Verschwörungstheoretiker falsche Voraussagen für die Zukunft. Schon etliche Male wurde der Weltuntergang angekündigt, der bisher nie eingetroffen ist. Der Grund: Das Ereignis, das die «Lichtarbeiter» zum Aufstieg in den Kosmos führen würde, wird von Widersachern verhindert, etwa von als Menschen getarnten Echsenwesen, welche die Welt versklaven und zu denen unter anderem auch Angela Merkel oder Greta Thunberg gehören sollen.

Vor allem aber verdienen die Verbreiter von Verschwörungstheorien sehr viel Geld mit den Ängsten verunsicherter Menschen. Mit ihren Online-Veranstaltungen, Seminaren und Büchern habe der Esoterikstar Christina von Dreien, die eigentlich Meier heisst, Hunderttausende Franken verdient, rechnete Georg Schmid vor. Sie behauptete etwa, das Coronavirus sei gar nicht so schlimm, wusste aber auch zu berichten, dass es von dunklen Mächten in die Welt gebracht worden sei.

Stabiler Glaube schützt
Menschen in Krisen sind gemäss Schmid besonders anfällig für Verschwörungstheorien, etwa frisch Pensionierte und Studienabbrecher, die nach einem Lebenssinn suchen. Viele suchten in der Verschwörungstheorie eine Ersatzreligion. Menschen mit einem stabilen Glauben seien weniger gefährdet, einer Verschwörungstheorie zu erliegen, als solche, die Religion ablehnen. Der Sektenexperte rät, den Kontakt zu Verwandten und Freunden, die einer Verschwörungstheorie aufsitzen, nicht abzubrechen. Sinnvolle gemeinsame Aktivitäten und Zuwendung würden helfen, inhaltliche Diskussionen hingegen sollte man vermeiden, da sie den Glauben bei denen, die sich in Frage gestellt fühlen, verstärkten. Die Chance, aus einer Verschwörungstheorie herauszufinden, sei sehr gross, so Schmid. Es lohne sich, nicht aufzugeben.

Karin Müller

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