Abstimmung über Organspende

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21.04.2022
Wer nach dem Tod kein Organ spenden möchte, muss dies neu festhalten. So will es das revidierte Transplantationsgesetz, über das am 15. Mai abgestimmt wird. Der St. Galler Kirchenrat hat dazu ein Argumentarium verfasst. Faktisch würde sich bei einem Ja allerdings wenig ändern.

Wer in der Schweiz ein Spenderorgan benötigt, muss lange warten. Es herrscht ein Mangel. Obschon laut Umfragen eine knappe Mehrheit der Bevölkerung der Organspende eher positiv gegenübersteht, hält dies nur ein Teil durch einen Eintrag ins Organspenderegister oder eine Patientenverfügung fest.

Fehlendes «Nein» heisst «Ja»

Hier setzt die Gesetzesrevision an. Mit der sogenannten «erweiterten Widerspruchslösung» sollen die Menschen nicht mehr die Zustimmung, sondern ihren Widerspruch explizit festhalten. Dadurch wollen die Befürworter erreichen, dass künftig mehr Spenderorgane zur Verfügung stehen. Ob dieses Ziel durch die Gesetzesrevision erreicht wird, ist umstritten.

 

«Aus dem eigenen Spenden wird ein fremdes Nehmen.»

 

Kirchliche Stimmen haben sich zur Vorlage geäussert, so auch der St. Galler Kirchenrat. In einem Argumentarium äussert er sich zu ethischen Aspekten der Vorlage und listet Pro- und Contra-Argumente auf, verzichtet aber auf einen expliziten Positionsbezug. Allerdings kritisiert er, dass Schweigen als Zustimmung interpretiert werde: «Aus dem eigenen Spenden wird ein fremdes Nehmen.» Zudem greife schon die Vorbereitung zur Entnahme von Organen in die Gestaltung des Sterbeprozesses ein.

Organspende nur nach Hirntod

Was ist im Sterbeprozess, was ist beim Abschiednehmen wichtig? Wie läuft eine Organtransplantation ab? Erfahrung im Umgang mit diesen Fragen hat Maja Franziska Friedrich. Die reformierte Seelsorgerin am Kantonsspital St. Gallen ist auf Wunsch dabei, wenn Angehörige auf eine mögliche Organspende angesprochen werden. Sie begleitet sterbende Menschen und ist für ihre Angehörigen da.

«Eine Organspende ist nur nach einem Hirntod möglich, also wenn das Hirn stark beschädigt ist, das Herz-Kreislauf-System aber aufrechterhalten werden kann», erklärt Friedrich, «bei schweren Hirnschädigungen durch Unfälle, Hirnschlag oder -blutung.» Habe die Patientin sich nicht schriftlich zur Organspende geäussert, so würden die Angehörigen von den Ärzten dazu befragt. «Wie ich es erlebe, geschieht das sensibel, vorsichtig und ohne Druck. Man erklärt ihnen den Ablauf, damit sie wissen, wozu sie Ja sagen.» Sage jemand Nein, so sei das Thema vom Tisch. Der Umgang mit den Angehörigen sei sehr umsichtig – trotzdem sei es ein schwieriger Moment. Deswegen sei es wichtig, den Angehörigen Zeit zu lassen. «Da ist keine Hektik», erzählt Friedrich. Denn die sterbende Person sei zwar hirntot, der Kreislauf werde aber aktiv von der Herz-Lungen-Maschine am Laufen gehalten. Der Sterbeprozess setze letztlich erst ein, wenn die Patientin extubiert und die Maschine abgestellt werde.

 

Auch nach der Gesetzesrevision haben Angehörige ein Veto-Recht.

 

Danach könne es dauern, bis das Herz zu schlagen aufhöre – von ein paar Minuten bis zu Stunden. Auch in dieser Phase ist ein Abschied mit einem Ritual wie einer Segnung noch möglich. «Der Herzschlag wird mit Ultraschall überprüft», sagt Friedrich. Bewege sich das Herz gar nicht mehr, so werde die Patientin in den Operationssaal geschoben und unverzüglich mit der Organentnahme begonnen.

Gesetzesrevision ändert wenig

An diesem Ablauf würde sich kaum etwas ändern, wenn das Volk am 15. Mai Ja sagt. Denn auch in seiner revidierten Form hält das Gesetz fest, dass Angehörige ein Veto-Recht haben, wenn der Sterbende sich nicht zur Organspende geäussert hat: Dann könnten «die nächsten Angehörigen der Entnahme widersprechen», heisst es. «Sind keine nächsten Angehörigen erreichbar, so ist die Entnahme unzulässig.»

Durch die Gesetzesrevision sei denkbar, so Spitalseelsorgerin Friedrich, dass Ärzte anders ins Gespräch mit den Angehörigen einsteigen könnten und zum Beispiel sagen: «Sie wissen, laut Gesetz ist jeder Organspender, wenn er nicht Nein gesagt hat. Ist Ihnen eine Aussage bekannt, und was ist Ihre Haltung?» Das gebe dem Gespräch allenfalls eine andere Dynamik. «Grundsätzlich ist und bleibt allen Beteiligten die Sorgfalt im Umgang mit den Betroffenen höchstes Gebot.»

Einen anderen Effekt der Abstimmung begrüsst Maja Franziska Friedrich aber sehr: «Es ist gut, dass die Leute über Organspenden reden, dass wir persönlich ins Gespräch kommen.» Denn habe man im Vornherein schon darüber gesprochen und sich festgelegt, so erleichtere das den Sterbe- und Abschiedsprozess enorm. «Weitreichende Entscheidungen sollte man nicht im Zustand des Schocks treffen müssen.»

Text: Stefan Degen | Foto: Getty Images – Kirchenbote SG, Mai 2022


Hier geht es zum Argumentarium des St. Galler Kirchenrates

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