Auch Jesus war Opfer einer Verschwörungserzählung.

Achtung, Verschwörung!

von Annette Spitzenberg
min
01.03.2024
Verschwörungstheorien gab es auch in der Vergangenheit, insbesondere bei Epidemien. Sie zu kennen kann die Gegenwart erhellen. Sich eigenen Ängsten zu stellen, hilft gegen die Neigung, selbst Verschwörungserzählungen anzuhängen. Widerstand ist angesagt, wenn Minderheiten bedroht werden, schliesslich war Jesus auch Opfer einer Verschwörungserzählung.

Damals

Sie gestanden es unter der Folter im Jahr 1475 in Trient, einer Stadt im südlichen Tirol, die vierzehn Juden. Ja, sie hätten den dreijährigen Simon gefangen genommen, ihn am Karsamstag gefoltert aus Hass gegen die Christen, sie hätten sein Blut aufgefangen, um damit Matzen herzustellen, und ihn danach getötet. Und selbstverständlich waren sie auch noch so dumm, selbst die Behörden zu informieren, als der Leichnam des vermisst gemeldeten kleinen Simon im Abwasserkanal auftauchte. Simon von Trient wurde zum christlichen Märtyrer verklärt, die inhaftierten Juden zum Tod durch Verbrennen verurteilt und die übrigen Juden der Stadt verwiesen.

Dies war nur einer der Auswüchse von antijudaistischen Verschwörungstheorien. Wenn die Pest wütete, wurden auch Juden beschuldigt, sie würden die Brunnen vergiften. Das führte zu Pogromen. Insbesondere nach den Pestzügen 1346-49 überlebten kaum Juden in Mitteleuropa. Entweder wurden sie unter Duldung der staatlichen Obrigkeit ermordet oder sie wählten den Freitod, um einer Zwangstaufe zu entgehen.

Sie gestand es unter der Folter, Anna Göldi im Jahr 1782 in Glarus, ja, sie hätte Stecknadeln in die Milch der Tochter ihres Dienstherrn gezaubert. Sie wurde als letzte Hexe Europas in der Schweiz hingerichtet wie vor ihr Tausende andere auch.

Sie wurden Opfer kollektiver Verschwörungserzählungen. Sowohl den Juden als auch den Hexen (und Zauberer) unterstellte man, mit dem Teufel im Bund zu sein, dem Bösen zu dienen. Im Bestreben, dieses vermeintlich Böse zu bannen, handelten die Inquisitoren und der aufgehetzte Mob selbst verbrecherisch.

Heute

In Zürich wurde vor Kurzem auf offener Strasse ein Jude niedergestochen und nur dem beherzten Eingreifen von Passanten ist es zu verdanken, dass es kein grösseres Blutbad gab.

Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin trat nach massiven Medienkampagnen gegen sie im Juni 2023 zurück, nachdem Videos sie beim Tanzen und Feiern zeigten. Eine moderne Hexenjagd.

Bei obigen Beispielen könnten wir uns zurücklehnen und argumentieren, der Antisemit in Zürich sei ein Muslim und Finnland sei auch ziemlich weit weg.

Doch damit würden wir es uns zu einfach machen. Die Corona-Pandemie hat es gezeigt. Da begannen, Verschwörungstheorien aller Art wild zu wuchern. Bill Gates sollte das Coronavirus erfunden haben und mithilfe von durch die Impfung implizierten Mikrochips versuchen, alle Menschen zu kontrollieren. Eine andere Verschwörungstheorie lautet: die Menschheit werde unterwandert von sogenannten Reptiloiden, Reptilien, die sich als Menschen tarnen und sich heimlich von Kinderblut ernähren. Zu diesen gehörten u.a. Angela Merkel, Hillary Clinton, Ursula von der Leyen und weitere führende Politiker der Gegenwart und Vergangenheit. Die Parallelen zu den Ritualmordlegenden sind offensichtlich und tatsächlich ist der Begründer obiger Verschwörungstheorie ein Antisemit.

Auch hier könnten wir uns zurücklehnen und sagen, solche extremen Verschwörungstheorien seien nicht weit verbreitet. Doch die Frage, wie man sich zu Corona und zu den Impfungen stellt, hat Familien entzweit, Systeme gespalten, führte zur Auflösung von Arbeitsverhältnissen und hat Risse hinterlassen, die bis heute nicht geheilt sind. Es wurde zu einer Frage des Glaubens, ob man sich impfen lässt oder nicht.

Wir suchen nach Gründen, und oft auch Schuldigen, ganz besonders bei Dingen, die wir uns (noch) nicht erklären können.

Mögliche Ursachen

Es scheint, als hätte unsere menschliche Neigung zu Verschwörungstheorien etwas damit zu tun, dass wir nach Ursachen suchen, wenn uns ein Unglück trifft. Wir suchen nach Gründen, und oft auch Schuldigen, ganz besonders bei Dingen, die wir uns (noch) nicht erklären können.

Meine Grossmutter, die im Alter an Demenz erkrankte und zu Paranoia (Verfolgungswahn) neigte, warf einem ihrer Söhne vor, er würde sie bestehlen. Sie fand ihre Dinge nicht mehr wieder, die sie verlegt hatte. Und wer war immer da und schaute zu ihr? Ihr Sohn! Der musste es also sein. Das war die Erklärung, die sie sich zurechtlegte.

An Verschwörungstheorien zu glauben ist eine Reaktionsmöglichkeit bei äusserer Bedrohung, bei Dingen, die uns in Angst versetzen. Es ist eine Angstabwehr. Das weiss ich aus eigener Erfahrung. Als junge Erwachsene war ich das, was man fundamentalistisch nennt. Da war ganz klar, wer zu den Guten gehört und wer zu den Bösen, wer drinnen ist und wer draussen, es gab keine Grautöne. Ich lernte von innen ein paranoides System kennen. Das Böse ist dann nicht in mir und nicht um mich herum, sondern draussen, da kann ich es bekämpfen. In der Psychologie nennt man das Projektion.

Manchmal gibt es bei Paranoia einen wahren Kern.

«Anleitung zum Unglücklichsein»

Der Kommunikationspsychologe Paul Watzlawik hat sie in seiner berühmten Geschichte vom Hammer in seinem Buch «Anleitung zum Unglücklichsein» beispielhaft aufgezeigt. Ein Mensch will ein Bild aufhängen, hat zwar einen Nagel, aber keinen Hammer. Er will sich diesen beim Nachbarn ausborgen, redet sich dann aber ein, dieser gäbe ihn ihm nicht, klingelt bei ihm Sturm und schreit ihn an: «Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!».

Leider kann genau dieser Mechanismus gefährlich werden. Das vermeintlich Böse, welches ich draussen bekämpfe, lässt mich selbst zu Gewalt greifen. Die Angst vor (vermeintlicher) Bedrohung lässt mich unter Umständen selbst gewalttätig werden oder diese rechtfertigen.

Was kann helfen?

Wenn ich meine eigene Biografie anschaue, hat mir geholfen, dass ich bereit war, mich Ängsten zu stellen, Vertrauen zu entwickeln und in der Liebe zu wachsen – denn Liebe ist das grösste Gegenmittel. Ängste kennen wir alle, sie gehören zu unseren Urinstinkten. Wir alle erleben es, dass Sicherheiten erschüttert oder infrage gestellt werden. Da braucht es den Mut, zuerst nach innen zu blicken und nicht nach aussen.

Je nachdem hilft auch differenzieren. Das könnte z.B. heissen, zuzugestehen, dass es Pharmakonzerne gab, die sich dank der Impfstoffe eine goldene Nase verdienten, dass diese keineswegs gerecht verteilt wurden, dass es Impfschäden gab und gibt und dass die Massnahmen gegen die Pandemie psychische und existenzielle Folgen hatten für ganz viele Menschen, insbesondere die Jungen.

Manchmal gibt es bei Paranoia einen wahren Kern. Ausserdem kann es ein Killerargument sein, wenn ich einem Gegenüber sage, dieses erliege einer Verschwörungserzählung. Sigmund Freud hatte zuerst seinen Patientinnen geglaubt, die von Inzest berichtet hatten, doch als die Zahl grösser wurde, fand er, das könne doch nicht wahr sein. Die Hysterie als Krankheitsbild war geboren. Heute wissen wir es besser.

Widerspruch und Widerstand ist immer angesagt, wenn sich eine Verschwörungserzählung gegen eine Minderheit, eine Ethnie, Religion, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Geschlecht, und so weiter richtet. Schliesslich wurde ja Jesus selbst Opfer einer Verschwörungserzählung. Es hiess, er wolle den Tempel zerstören.

Eigentlich geht es im neuen Vertragsentwurf der WHO darum, einen gerechteren Zugang zur Gesundheitsversorgung zwischen armen und reichen Ländern zu ermöglichen und einen besseren Datenaustausch. Achtung, Fake-News. | Bild: as

Dieser Flyer ist Ausdruck einer milden Verschwörungserzählung. Eine weltumspannende Organisation wie die WHO eignet sich sehr gut als Projektionsfläche. Eigentlich geht es im neuen Vertragsentwurf der WHO darum, einen gerechteren Zugang zur Gesundheitsversorgung zwischen armen und reichen Ländern zu ermöglichen und einen besseren Datenaustausch. Die Souveränität der Staaten wird betont. Weder wird die Meinungsfreiheit eingeschränkt noch werden Menschen und Tiere zu Impfungen gezwungen durch die WHO. Es handelt sich um Fake-News.

Die Prüfung der Quellen auf der Rückseite des Flyers hat folgendes Resultat ergeben: Neben der EDU sind Aletheia-scimed.ch mit zwei entlassenen Ärzten, mehr-wissen.info mit Andrea Drescher (Buch: vor der Impfung waren sie alle gesund) und worldhealthalliance.net (ein Hamburger Onkologe Dr. Walter Weber, Buch: «Gesundheit aus eigener Kraft» u.a.) vertreten.

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