Aus dem Strickkörbchen geplaudert

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04.02.2022
Jahrzehntelange Strickleidenschaft und Lust auf Begegnung kommen hier zusammen: Einmal im Monat treffen sich im Kirchenzentrum Ebnat-Kappel Frauen zum Stricknachmittag. Zeit für einen Besuch. Der Neuling verliert die eine oder andere Masche – und gewinnt Einblicke in eine heiter-produktive Runde.

«Inesteche, umeschloh …». Mehr ist aus wenigen Stunden Strickunterricht nicht übrig, als ich den Pavillon des Kirchenzentrums betrete. Immerhin: Ich bringe – Internet sei Dank – meine nach mehreren Anläufen erfolgreich selbst angeschlagenen Maschen mit. Die Frauen heissen mich herzlich willkommen, ohne ihre Arbeit unterbrechen zu müssen. Hier waren sie bis anhin unter sich, strickende Männer kennen sie kaum. Ob deshalb meine mickrigen Maschenreihen gelobt werden, aus denen bestenfalls ein kümmerlicher Schal werden könnte?

Wolle und Worte

Um mich herum entstehen derweil (für Familie, Bekannte oder das Hilfswerk von Pfarrer Sieber) Mützen, Dreieckstücher und vor allem Socken. Denn Socken könne man angeblich ohne grosse Konzentration stricken und sich dabei unterhalten. Schwer zu glauben, wo mich schon mein zweidimensionales Blätzli fordert.

 

«So richtig entspannt siehst du noch nicht aus», tönt’s belustigt vom anderen Tischende.

 

Aber tatsächlich bleiben die Nadeln der Frauen in Bewegung, während die Gesprächsthemen munter wechseln. Fragen zu ersten Strickerfahrungen wecken Erinnerungen: Viele lernten ihr Handwerk schon daheim; von Kinderstreichen, guten und bösen Lehrerinnen sowie unterschiedlich freudvollen Projekten in der Arbeitsschule wird berichtet. Es wird aber auch gefachsimpelt, gegenseitig begutachtet man Wolle und Werke.

Stricken statt stressen

Zwischenzeitlich kehrt Stille ein – ungewohnt angenehm, das Schweigen, denn meine Hände bleiben beschäftigt. Die stets gleichen Bewegungsabläufe haben etwas Beruhigendes. Stricken sei gesund, wissen die Frauen. Tatsächlich fand die Universität Harvard heraus, dass Stricken zu ähnlichen Hirnwellenmustern führt wie Meditation; Blutdruck und Stresslevel sinken. Selbst depressive Zustände und chronische Schmerzen könnten sich mindern durch die repetitiven, automatisierten Bewegungen. Auch meine Maschen werden etwas regelmässiger, automatisiert ist aber noch nichts. «So richtig entspannt siehst du noch nicht aus», tönt’s belustigt vom anderen Tischende.

Mesmerin ergriff Initiative

Woher kommt plötzlich die lose Schlinge am Ende meiner Reihe? Und wohin mit ihr? «Du bist die Antwort auf alle deine Fragen», foppt mich der Spruch auf meinem Kärtchen. Mesmerin Verena Blatter liess es mich, wie alle andern, aus einem verdeckten Stapel mit ermutigenden Sätzen ziehen. Zwischendurch versorgt sie alle mit Kaffee und Gebäck. Im vergangenen Jahr initiierte sie neben dem Stricknachmittag den Fladetag («zusammen backen, kochen und geniessen») und Feriencafés. «Ich wollte mehr Leben in unserem Kirchenzentrum», sagt sie zu ihrem Engagement, das die Anwesenden sehr loben. 

Mehrwert mit Maschen

Die Strickerinnen geniessen den Mehrwert dieser Nachmittage: mit den Händen etwas Nützliches wie Ansprechendes wirken und sich gleichzeitig mit anderen austauschen zu können. In dieser zugleich heiteren und produktiven Atmosphäre verfliegt die Zeit. Zum Schluss schmunzelt meine Nachbarin, bei meinem Tempo werde es aber mit dem Schal in dieser Saison nichts mehr werden. Recht hat sie – Grund genug, mich auch im nächsten Winter wieder einmal dazusetzen zu können.

Text | Foto: Philipp Kamm, Ebnat-Kappel – Kirchenbote SG, Februar 2022

 

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