«Basel ist unsere zweite Heimat geworden»

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14.04.2022
Als sie ihre Heimat verliessen, wussten sie nicht, was sie in Basel erwartet. Einen Monat später können sich Lesia und Nadia auf Deutsch verständigen und Lesia hat eine Praktikumsstelle gefunden. Nie hätten sie damit gerechnet, dass man sie so grosszügig aufnimmt, sagen sie.

Am 8. März, am Fasnachtsdienstag, kamen die Schwestern Lesia, 40, mit Sohn Maksym und Nadia, 36, mit Tochter Anastasia samt Katze mit dem Auto aus der westukrainischen Stadt Iwano-Frankiwsk in Basel an. Vier Tage lang waren sie unterwegs. Sie fuhren einen Umweg über Italien, wo ihre Schwester Alena lebte. Sie wussten noch nicht, dass diese Anfang Jahr mit ihrer Familie nach Basel gezogen ist und hier als Krankenschwester arbeitet. Noch nie waren sie so weit weg von der Heimat.

Obwohl Iwano-Frankiwsk näher bei Polen als Russland liegt, erreichte sie der Krieg. Am 24. Februar bombardierten die Russen den Flughafen der Stadt. Drei Raketenangriffe haben die Schwestern und ihre Familien erlebt, und immer wieder Sirenenalarm, auch in der Nacht. «Wir haben nicht lange überlegt, wir wollten einfach weg, auch damit die Kinder in Sicherheit sind», erzählen Nadia und Lesia. In der Ukraine gebe es kaum einen Ort, an dem man sich in Sicherheit fühlen könne. Zuvor besuchten sie noch den Vater, der in der Heimat bleiben wollte. Er ist pensioniert, führt eine kleine Hasenzucht und besitzt etwas Land, auf dem er Kartoffeln und Gemüse anbaut. Das sei sein Leben, er wolle es nicht zurücklassen. Während die Töchter und Enkelkinder weg sind, sorgt er für Maksyms Hund.

Ihre Ehepartner mussten Lesia und Nadia ebenfalls zurücklassen sowie Lesias 21-jährigen Sohn. Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land nicht verlassen. Sie müssen sich bereithalten, falls sie zum Kämpfen eingezogen werden. Die Frauen befürchten, dass dies passieren wird. Sie stehen in täglichem Online-Kontakt und verfolgen intensiv, was in der Ukraine geschieht. Die Lage verschärfe sich, sie haben Angst, dass Putin Atom- oder chemische Waffen einsetzt.

Als Erstes Deutsch lernen
Was die Geflüchteten in der kurzen Zeit seit ihrer Ankunft in Basel erlebt haben, ist eine Art Schnellzug-Integration. Die 13-jährige Anastasia und der 15-jährige Maksym besuchen die Holbein-Schule. In einer Einstiegsgruppe konzentrieren sie sich zuerst einmal aufs Deutschlernen, bevor sie einer Regelklasse zugeteilt werden. Maksym hat im Aufnahmetest so gut abgeschnitten, dass er nach den Osterferien in den P-Zug wechseln kann.

Ihre Mütter besuchen jeden Tag von 9 bis 11 Uhr einen Intensivdeutschkurs und Einzelstunden am Nachmittag. «Die Sprache ist der Schlüssel zur Integration», sagt Pfarrer Daniel Frei. Darum sei es ihnen sehr wichtig gewesen, für ihre Gäste Deutschkurse zu organisieren. Die Lehrpersonen unterrichten freiwillig und unentgeltlich.

Daniel Frei leitet das Pfarramt für weltweite Kirche beider Basel und koordiniert für die Baselbieter Kirchgemeinden die Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine. Zusammen mit seinen Nachbarn, unter anderem dem Theaterregisseur Urs Schaub, beschloss er, auch als Privatperson Geflüchtete zu unterstützen. Durch seinen Job verfügt Frei über ein ausgedehntes Netzwerk, das ihm jetzt zugutekommt. So stellt die Basler Mission zwei Zimmer im ehemaligen Missionshaus, dem heutigen Hotel Odelya, zur Verfügung, wo Nadia, Lesia und die Kinder bleiben können, bis sie eine Wohnung gefunden haben.

Als Nächstes einen Job finden
Lesia ist Augenärztin, Nadia hat Medizin studiert und war als medizinische Vertreterin beim französischen Pharmakonzern Sanofi tätig. In Basel bot Ramstein Optik Lesia ein Praktikum an. Drei Stunden pro Tag arbeitet sie jetzt im Geschäft. Nadia wird von Sanofi Schweiz unterstützt.

Nach nur einem Monat kann Nadia bereits ein einfaches Gespräch führen auf Deutsch. Sie hätten nicht erwartet, dass man sie hier so gut empfängt, erzählt sie. Die Leute seien hilfsbereit, geduldig, offen und herzlich und es sei ruhig hier. «Basel ist unsere zweite Heimat geworden», sagen sie. Sie freuen sich, dass sie mit ihrer Schwester Alena zusammen sein können, die sie in den letzten zwanzig Jahren selten gesehen haben. «Wir wussten nicht, was uns hier erwartet, und dann wurden wir wärmstens empfangen und alle sorgten dafür, dass wir uns nicht fremd fühlen», sagt Nadia.

Er fühle sich wohl, meint auch Maksym. Er vermisse seine Familie, den Bruder, den Grossvater, die Freunde, den Hund, aber es gehe ihm gut, solange er wisse, dass alle in Sicherheit sind. Dann müsse er sich keine Sorgen machen. Viele seiner Freunde sind ebenfalls geflüchtet, nach Deutschland, Italien, Tschechien oder Polen. Anastasia vermisst ihr eigenes Zuhause. Wenn sie traurig ist, tröstet sie sich mit ihrer Katze. «Sie wollte nicht mitkommen, wenn wir die Katze zurücklassen», sagt ihre Mutter.

Zwischen Hoffnung und Angst
Immer wieder beteuern die beiden Frauen, wie dankbar sie den Menschen hier sind, die sie unterstützen und zu Freunden wurden. Freunde, die miteinander scherzen und Pläne schmieden für ein Wiedersehen mit einem grossen Fest in der Ukraine. Fast könnte man vergessen, dass sie hier sind, weil sie vor dem Krieg flüchten mussten – bis die Wirklichkeit sie einholt. Niemand weiss, wie sich die Lage in der Ukraine entwickelt, «niemand weiss, was die Russen planen», sagt Nadia. «Putin führt mit allen Krieg», sagt Lesia.

Doch die Hoffnung geben sie nicht auf. «Wir haben erfahren, dass es mehr Gutes als Schlechtes gibt.» Und sie glauben an Karma. «Wir möchten helfen, wie die Menschen uns geholfen haben», sagen sie. Und Daniel Frei ergänzt: «Unser Ziel ist es, ein Netzwerk aufzubauen, dass unsere Gäste ihre Fähigkeiten und ihr Wissen einbringen und ihre neu ankommenden Landsleute beraten können. Es ist für uns eine Bereicherung und ein Glück, dass sie bei uns sind, und ich empfehle den Leuten, etwas mutiger zu sein und aus ihrer Komfortzone herauszukommen. Ich erwarte noch mehr von uns Schweizern.» Daniel Frei, Urs Schaub und ihre Nachbarn wollen weitere Geflüchtete aufnehmen. «Wir tun das, was wir uns wünschen, dass man auch für uns tun würde», betont Urs Schaub.

Für Daniel Frei lautet die entscheidende Botschaft: «Wir sind eine Familie, ihr gehört dazu, das ist euer Haus, das ist wichtig, auch für uns.» Wolle man helfen, müsse man jedoch eine grosse Gemeinschaft von Freiwilligen bilden, damit man sich nicht überfordert.

Karin Müller, kirchenbote-online

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