Busszettel auf dem Parkplatz Gottes

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22.12.2019
Ein provokatives Kunstwerk lässt Gläubige und Ungläubige über die Trinitätslehre diskutieren. In Stäfa ZH steht der obersten heiligen Leitung ein Parkplatz zur Verfügung.

Parkplätze vor der Kirche, beschriftet mit «father», «son» und «holy ghost». Pfarrer Rolf Kühni war als Mitglied der Jury dabei, als dieses Kunstwerk in Stäfa ZH auf den Kirchplatz gesprüht wurde. Zehn Jahre später ist er Pfarrer in Sargans und blickt zurück.

«Der einzige Dreieinigkeits-Parkplatz weltweit befindet sich im zürcherischen Stäfa. Also schon fast im Kanton St. Gallen. «Die spinnen, die Stäfner!», hiess es damals, im Herbst 2009. Gemeint waren wir Reformierte, weil wir dem neuen Kirchplatz mit «meeting» ein ungewöhnliches Profil verliehen hatten. «meeting»: So heisst der Dreieinigkeitsparkplatz. Gestaltet hat ihn die Malerin und Objektkünstlerin Barbara Mühlefluh.

Gott ist Begegnung
Viele Mitglieder der Kirchgemeinde schlossen sich dem harschen Urteil an, auch altgediente Theologen in Pension. Was die Künstlerin auf den Boden spritzen liess – das soll Kunst sein? Banal und gotteslästerlich, so lauteten die Vorwürfe. Am öffentlichen Diskussionsabend liefen manche Köpfe hochrot an. Dabei wollte die Künstlerin schlicht dem Auftrag gerecht werden: «Religion im öffentlichen Raum sichtbar, eine kirchlich-religiöse Identität lesbar machen.» Offensichtlich hatte sie sich mit der Thematik beschäftigt. Die Bezeichnung «meeting» trifft theologisch nämlich ins Schwarze. Die Trinitätslehre sagt: Gott ist Begegnung, Kommunikation.

Busszettel für Falschparkierer
Heute, zehn Jahre danach, unterhalten wir uns wieder über den «Gottesparkplatz», wie das Kunstwerk allgemein genannt wird: Da ist meine Pfarrkollegin Monika Götte. Sie zog nach mir in das Pfarrhaus mit direkter Sicht auf «meeting». Auch der Präsident, Arnold Egli, und der Gemeindeverwalter, Andy Erni, sind hier. «Sehr viele Leute realisieren heute nicht mehr, dass es sich um ein Kunstwerk handelt», meint dieser. «Deshalb stellen sie ihre privaten Autos auf die reservierten Plätze.» Und Monika: «Reaktivieren wir doch den Busszettel! Darauf steht: ‹Sie müssen zwar keine Busse bezahlen, aber vielleicht wollen Sie Busse tun. Nehmen Sie deshalb heute bewusst Anteil am Leben eines Menschen, den Sie sonst kaum beachten.›»

Die Bezeichnung «meeting» trifft theologisch ins Schwarze.

Wenn Monika mit ihren Konfirmanden über die Trinität nachdenkt, nimmt sie die Gruppe hinaus zu «meeting». Und, natürlich! Da war ja noch der alte Ernst, der seine frühmorgendlichen Trinitäts-Meditationen hier durchführte. 

Störmanöver mit Pamphleten
Arnold erinnert sich an Störmanöver: «Einmal war die ganze Gegend übersät mit Pamphleten gegen den Parkplatz, und einmal war alles grässlich verschmiert.» Aber das sei vorbei. «Trotzdem sollten wir den Stäfnern neu bewusst machen, worum es geht.» Auswärtigen Besuchern sei dies nämlich sofort klar, wie kürzlich einer Wandergruppe. «Die diskutierten engagiert und zückten ihre Kameras.»

Ein modernes Gleichnis
Eigentlich ist «meeting» eine Art modernes Gleichnis. Auch Jesus erzählte Gleichnisse. Nur gibt es heute bei uns kaum noch Hirten mit verlorenen Schafen, kaum noch Bauern, die das Saatgut in die Dornen streuen. Eine neue Zeit braucht neue Gleichnisse, um dem Glauben auf die Spur zu kommen. Und überhaupt machten schon damals die Gebildeten Jesus den Vorwurf, er banalisiere den Glauben und lästere Gott. Ist die Kritik gegen «meeting» in Wahrheit gar ein Kompliment?

Spontane Diskussion über Trinität
«Es ist doch nichts als richtig, wenn unsere oberste Geschäftsleitung einen reservierten Parkplatz hat», meint zu guter Letzt Andy. Wie sehr der Trinitätsparkplatz eine Antwort sein kann auf der Suche nach zeitgemässen Gleichnissen, lasse ich offen. Auf die Frage allerdings, ob dies überhaupt Kunst sei, antworte ich heute, als Mitglied der Jury vor zehn Jahren: «Ich kenne keinen öffentlichen Ort, an dem Menschen – ungläubig oder gläubig – so spontan über die Trinität diskutieren wie dort auf Kirchbühl in Stäfa am Zürichsee. Soll das wirklich keine Kunst sein?»

 

Text| Foto: Rolf Kühni, Pfarrer, Sargans  – Kirchenbote SG, Januar 2020

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