«Das fasziniert mich an der St. Galler Kirche»
Frau Famos, in ihrer neuen Verfassung benennt die Evangelische Kirche Schweiz (EKS) ihren Auftrag: «Die EKS verkündigt das Evangelium von Jesus Christus in Wort und Tat.» Wo haben Sie das letzte Mal das Evangelium in Wort und Tat verkündet?
Rita Famos: In Worten – im engeren Sinn – im Fraumünster in Zürich. Ich mache dort ab und zu Gottesdienstvertretungen und habe grosse Freude daran. In Taten: Gestern hat mich eine Spitalseelsorgerin ganz aufgelöst angerufen, sie komme total an ihre Grenzen. Sie zu ermutigen und zu unterstützen, das ist ein Beispiel einer Tat.
Sie sprechen die zweite Corona-Welle an. Was raten Sie Pfarrerinnen und Pfarrern, die bei den Menschen sein möchten, zum Schutz vor dem Virus aber Abstand halten mĂĽssen?Â
Famos: Die Kirche war bereits während der ersten Welle kreativ: Da waren all die Online-Angebote, die Briefwechsel mit einsamen Menschen, die Kinder, die für Senioren Geschenke bastelten, die diakonischen und seelsorgerlichen Dienste. Ich habe viele Rückmeldungen von der Basis erhalten, das hat sie sehr berührt. Ich hoffe, dass unsere Gemeinden die Kraft haben, im Advent diese Kreativität noch einmal zu wecken. Die Weihnachtsbotschaft geht ja nicht verloren. Im Gegenteil, vielleicht kommt sie umso mehr zur Geltung, wenn der ganze Weihnachtsrummel ausfällt. Sie lautet: Gott wird Mensch, er ist uns nahe. Wir sind nicht allein.
Sie sind seit fast dreissig Jahren fĂĽr die reformierte Kirche tätig. Was fasziniert Sie daran?Â
Famos: Ich habe persönlich erlebt, wie die Kirche den Menschen Möglichkeiten bietet, mitzuwirken, in jeder Lebensphase: Zuerst war ich in der Jugendarbeit engagiert, als junge Pfarrerin in der Erwachsenen- und Familienarbeit. Die Kirche lädt alle Menschen ein, sich zu engagieren, nicht nur die Angestellten. Zudem schafft es die reformierte Kirche seit 500 Jahren, mit der Zeit zu gehen – damit meine ich nicht, sich einfach dem Zeitgeist anzupassen, sondern sich mit gesellschaftlichen Entwicklungen auseinanderzusetzen und theologisch darauf zu reagieren. Das macht mich zuversichtlich, dass wir Wege finden, unsere Kirche lebendig zu halten.
Wo ist Ihre theologische Heimat?Â
Famos: Meine Jugendzeit habe ich im Berner Pietismus verbracht. Bis heute nehme ich aus dieser Zeit das persönliche Engagement, die persönliche Andacht als Teil des Glaubenslebens mit. Später, im Studium, waren für mich die Theologen Karl Barth und Paul Tillich wichtig.
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«Die Weihnachtsbotschaft geht ja nicht verloren. Im Gegenteil, vielleicht kommt sie umso mehr zur Geltung, wenn der ganze Weihnachtsrummel ausfällt.»
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Die feministische Theologie gab mir als Frau im Pfarramt Orientierung. Heute habe ich eine «Theologie der Seelsorge»: Auch im Schwachen, im Fragilen ist Gott zu finden: «Meine Kraft ist im Schwachen mächtig» (2. Korinther 12,9). Das ist wichtig für die Seelsorge, aber auch für unsere Kirche, die zur Minderheitskirche wird.
Von 2011 bis 2014 waren Sie bereits einmal im Rat des damaligen SEK (heute EKS). Weshalb sind Sie 2014 zurĂĽckgetreten?
Famos:Â Erstens hatte ich eine neue Stelle angenommen und war zeitlich ĂĽberlastet. Zweitens fand der ZĂĽrcher Kirchenrat damals, es sei besser, wenn ein Mitglied des ZĂĽrcher Kirchenrates im Rat des SEK Einsitz nehme.
Was verbindet Sie mit der St. Galler Kirche?
Famos: Ich kenne einzelne Pfarrerinnen und Pfarrer sehr gut und habe einst sogar in Betracht gezogen, meine erste Pfarrstelle in Hemberg anzutreten, als mein Mann in St. Gallen studierte. Später habe ich die Fusionsbewegungen von St. Galler Kirchgemeinden beobachtet. Ich hatte den Eindruck, die St. Galler Kirche hat das geschickt gemacht. Sie hat eine Grösse, mit der sie etwas gestalten kann, aber trotzdem noch beweglich ist. Das fasziniert mich an der St. Galler Kirche.
Interview: Stefan Degen | Foto: EKS – Kirchenbote SG, Dezember 2020
«Das fasziniert mich an der St. Galler Kirche»