Das Tier, dein Mitmensch
Seit zwei Jahren ist der 46-jährige reformierte Pfarrer und Ethiker Christoph Ammann Präsident des Vereins. «Unser grosses Ziel ist der Gesinnungswandel von uns Christinnen und Christen im Verhältnis zu den Tieren», sagt Ammann. Oder, mit dem Schuldbekenntnis gesagt: Statt die Tiere im Glaubensleben zu vergessen, sie im Blick zu haben.
Eine «ethische Sonderstellung»
Um dahin zu kommen, braucht es eine denkerische Neufassung der Beziehung zu den Tieren. «Menschen und Tiere sind beide Gottes Geschöpfe. Unter den Geschöpfen Gottes aber gibt es keine Abstufung.»
«Behandle Tiere so, dass sie in ihrer Art ein gutes Leben leben können.»
Eine theologische Tierethik von heute wirft daher die jahrhundertelang gängige Abwertung der Tiere über Bord. Diese Tradition geht von der Aussage im 1. Buch Mose aus, nach welcher der Mensch über die Tiere «herrschen» solle. Der Mensch ist im Unterschied zum Tier «vernunftbegabt», was seine «Gottesebenbildlichkeit» begründet. «Von dieser Sichtweise führt ein direkter Weg zur Behandlung von Tieren als Sache», sagt Ammann. Weil Tiere nicht Gottes Ebenbild sind, dürfe man sie töten, wird argumentiert. Mit den bekannten Folgen der industriellen «Verwertung» von Tieren.
«Tierschutz oder Tierrechte kommen in der Kirche kaum vor.»
Anderer Ansatz
Eine neue Tierethik setzt anders an. Wohl gibt es einen Unterschied zwischen Mensch und Tier. «Die Differenz liegt in der Verantwortlichkeit gegenüber der Schöpfung», sagt Ammann. Beide sind Geschöpfe Gottes, aber der Mensch hat eine «ethische Sonderstellung». Aus dieser Verantwortung leitet Ammann die Haltung zu Tieren ab. «Behandle die Tiere so, dass sie in ihrer Art ein gutes Leben leben können.» Dabei unterscheidet er die Beziehung zu Haustieren und Wildtieren. Bei der ersten Gruppe geht es um Fürsorge, bei der zweiten um das Intakthalten ihrer Lebensräume.
Tierschutz gehört zum Kirchesein
Das klingt alles vernünftig und ist ein guter theoretischer Unterbau für den aktuell trendigen Lebensstil von Vegetariern und Veganern. Aber ist es mehr als ein Hobby für Menschen mit Mitgefühl? Ammann, der seit 15 Jahren aus Überzeugung kein Fleisch isst, sagt: «Wir haben in Kirche und Gesellschaft tatsächlich eine grosse Tiervergessenheit und eine Verdrängung des Leidens von Tieren.» Auch eine übertriebene Tierliebe oder die Vermenschlichung von Tieren versteht er als «gestörte» Beziehung zu Tieren.
Die Aufgabe lautet also: Eine Beziehung zu Tieren als «Mitgeschöpfen» aufbauen. Ammann sieht hier auch in der Kirche grossen Nachholbedarf. Diese tue eindeutig zu wenig für Tiere. Sowohl der Einsatz für bedrängte Menschen als auch für die Bewahrung der Schöpfung seien in der Kirche tief verankert. Aber Tierschutz oder Tierrechte kommen kaum vor. Ein Gesinnungswandel wäre für ihn ein Schritt hin zu mehr Friedfertigkeit und Liebe auf unserem Planeten.
Mit dem Hund pilgern
Der Verein AKUT hat schweizweit etwas über 300 Mitglieder. Was tut er dafür, dass Tiere zu Mitgeschöpfen werden? Ein Angebot ist das «Stadtrandpilgern mit Hund» in Zürich, ein «Gottesdienst im Gehen». AKUT bietet auch Vorträge und Erwachsenenbildung in Gemeinden an und wirkt in Tiergottesdiensten mit. – Wie aber könnte eine «grosse Wende» passieren, sodass die Verantwortung für Tiere selbstverständlich zum Menschsein gehört? Das ist für Ammann eine offene Frage. Klar ist für ihn: Es geht nicht allein mit Argumenten. Es braucht die Anschaulichkeit, die Betroffenheit. «Vielleicht müsste man es wagen, mit Konfirmandenklassen einen Schlachthof zu besuchen.»
Text: Daniel Klingenberg, St. Gallen | Foto: Marianne Egli-Fässler – www.wisgraben.ch – Kirchenbote SG, September 2018
Das Tier, dein Mitmensch