Den Geist des Sakralen spürbar machen

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15.09.2016
Mit Karl Moser, Albert August Müller oder den Gebrüdern Grubenmann liessen es sich auch die Reformierten nicht nehmen, namhafte Baumeister und Architekten zu engagieren, wenn es um den Bau einer Kirche ging.

Wenn indes von einem reformierten Kirchenbau gesprochen werden kann, so umfasst er eine relativ kurze Zeitspanne. Nach der Reformation stand den Gemeinden eine grosse Zahl von Kirchen zur Verfügung. Oft wurden sie – wie heute noch in Oberhelfenschwil oder Brunn- adern – paritätisch genutzt oder gar gemeinsam mit den Katholiken erbaut (Mogelsberg). Es waren bis gegen Ende des letzten Jahrhunderts kaum Neubauten nötig. Im 18. Jahrhundert gab es vereinzelte, weil sich gewisse Kirchgemeinden von ihren evangelischen Nachbarn abspalteten, selbständig wurden. Mit dem Bevölkerungswachstum um 1900, aber auch mit dem Grösserwerden der evangelischen Kirchgemeinden in den katholischen Stammlanden, änderte sich die Entwicklung.

Mitarbeiter von Gottfried Semper

In Rorschach hatte sich die Zahl der Protestanten bis zur Wende des vorletzten Jahrhunderts vervierfacht. Der Entscheid, eine neue Kirche zu bauen, fiel 1900. Mit Albert August Müller, dem ersten Direktor der Kunstgewerbeschule Zürich und Wegbegleiter des ETH-Erbauers Gottfried Semper, gewann ein Architekt, der mit dem neugotischen Stil brach. Müller wählte einen kreuzförmigen, mit Jugendstilelementen ausgestatteten Zentralbau, der in den Augen der Katholiken fortifiziert und abwehrend wirkte. Die Idee Müllers war es aber, die Gemeinde in der Form des Grundrisses zu widerspiegeln. Der schrankenlose Raum war als schlichter Versammlungsraum gedacht. Damit folgte Müller wohl der damals vorherrschenden Idee beim Neubau von reformierten Kirchen. Schon 1901 weihten auch die Basler ihre Pauluskirche ein. Der vom Büro Karl Moser (Erbauer der Universität Zürich) und Robert Curjel (mit Moser Erbauer der Kirchen Tablat, Bruggen, Degersheim, Flawil) entworfene kreuzförmige Zentralbau ist aber in seinen Formen der Romanik nachempfunden und beim Schmuck auch dem Jugendstil verpflichtet. Ein architektonisch ähnliches Grundprinzip verfolgte die Kirche in Gossau. Der auf dem Hügel Haldenbüel thronende Zentralbau wurde aber um 1899 im neubarocken Stil erbaut, ist aber ebenfalls mit Jugendstildekor ausgestattet.

Zweckbauten

Nach dem ersten Weltkrieg ist in der Schweiz tendenziell eine Änderung bei der Aufgabe des Kirchenbaus auszumachen: Statt des monumentalen Gotteshauses strebten die Bauherren den kirchlichen Zweckbau an, der die sozialen Aufgaben ins Zentrum stellte, die Kirche zum multifunktionalen Gemeindehaus werden liess, das auch die Stellung des Turms schmälerte. Die nüchterne Raumatmosphäre mit dem eher unverbindlichen Charakter behagte nicht lange. Der Wunsch nach einer «richtigen» Kirche begann sich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder stärker auszuprägen. Wenn auch die Materialien wechselten, Beton vorherrschte, neue Formensprachen gab es kaum: Das Längsschiff und der angegliederte Glockenturm rückten wieder in den Vordergrund (Kirchberg). Damit kehrten die Reformierten wieder zurück zum klassischen Längsschiff oder Zentralbau mit Turm und zurück in die Zeit, als die Gebrüder Grubenmann aus Teufen in der Ostschweiz Kirchen erbauten.

«Das kirchliche Geschehen als ein rein Geistiges lebt auch unabhängig von der Architektur.»

Jakob Grubenmann war ein Planer von traditionellen Landkirchen. Er unterschied noch, ob es eine katholische oder reformierte Kirche war. Dies manifestiert sich bei den Turmabschlüssen. Bei den reformierten Kirchen (Ebnat, Oberuzwil oder Brunnadern) errichtete er gotisierende Spitzhelme. Die katholischen Türme schloss er mit Zwiebeln und einer barocken Haube ab. Der Turm war markant und besass damals wie heute gewisse Gefühlsmomente. Neben der einfachen Erklärung als Wegweiser zum Himmel und sicheres Merkmal einer Kirche, steht er auch heute noch für Momente der Bindung an einen Ort, Heimatgefühle und Orientierung. Architektonisch gesehen ist der Turm ein plastisch gestalterisches Element, das die Aufgabe des Glockenträgers innehat.

Liturgie ist kennzeichnend

Die äussere Form hat in der Regel auch einen Inhalt auszustrahlen. Im Kirchenbau ist dies das Sakrale, wobei dieser Begriff überkonfessionell bedeutungsvoll ist. Dies zeigt Ronchamp, wo Tausende von andersgläubigen Menschen von der starken Ausstrahlung des Sakralen in jenem Raum berührt sind, obwohl sie keine Beziehung zum kirchlichen Wirken haben. Erst durch die bestimmte Liturgie wird eine Kirche als katholisch oder reformiert gekennzeichnet. Paritätisch genutzte Kirchen verdeutlichen dies. Das kirchliche Geschehen als ein rein Geistiges lebt unabhängig von der Architektur. Die Kirche ist denn für eine lebendige Gemeinschaft weniger notwendig als bereichernd und des Menschen Ausdruck einer Huldigung ans Ewige.

 

Text | Foto: Katharina Meier  – Kirchenbote SG, Oktober 2016

 

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