«Der exportierte Krieg ist nach Europa zurückgekommen»

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27.04.2016
Mehr als 750 Menschen setzen am Ostermontag in Romanshorn ein Zeichen für eine friedlichere Welt. Junge und Alte gehen gegen Krieg und Terror auf die Strasse. Schweizer, Österreicher, Deutsche. Und auch viele, denen man ansieht, dass sie von weiter herkommen.

«Ich möchte so eine Welt nicht, wie sie heute ist.» Dieser Satz von Ulrich Tilgner trifft das Gefühl der Ostermarschierer. Das Gefühl, dass die Welt aus den Fugen gerät. Tilgner hat 25 Jahre lang aus dem Nahen Osten berichtet, für die ARD, fürs Schweizer Fernsehen. Am Ende dieses Friedenswegs wird er bei einer Gesprächsrunde in der katholischen Kirche förmlich belagert. Warum diese Gewalt in Afghanistan, im Irak, in Syrien? Warum diese vielen Menschen auf der Flucht? Warum diese Terroranschläge in Paris und jetzt in Brüssel? 

Ulrich Tilgner zu Krieg und Terror

Tilgner hat die Entstehung der Terrororganisation Al Kaida miterlebt, heute verfolgt er den Aufstieg des sogenannten Islamischen Staates. Seine Antwort auf das «Warum?» hält der westlichen Welt den Spiegel vor: Die USA, aber auch Europa, sagt Tilgner, seien mitverantwortlich. Europa, sagt er, lebe zwar seit Jahrzehnten «in Frieden», aber nicht, weil Europa tatsächlich «so friedlich» sei. 

«Der Krieg ist seit dem Zweiten Weltkrieg exportiert worden, nicht nur in Form von Waffen, auch tatsächliche Kriege hat Europa exportiert», sagt Tilgner. Es sei ein Irrglaube, regionale Konflikte im Orient, sei es im Irak, in Afghanistan oder in Syrien, einfach wegbomben zu können. Im Gegenteil: Während die USA und Frankreich in Syrien jetzt Bombenangriffe flögen, bänden sich die anderen eben die Sprengstoffgürtel um. Wenn man ehrlich sei, sagt Tilgner unter dem Applaus der Ostermarschierer, müsse man der Toten von Paris und Brüssel «nicht als Terroropfer gedenken, sondern als Kriegsopfer». Der exportierte Krieg, sagt er, «ist nach Europa zurückgekommen.»

Der Opfer weltweit gedenken

Als die Menschen in der Kirche der Opfer der Anschläge gedenken, sagt der Friedensweg-Organisator Arne Engeli: «Wir gedenken aber auch der vielen Toten, der Verletzten bei Luftangriffen in Syrien, Irak, Jemen, Pakistan, Nigeria und Burkino Faso.» Opfer seien dort ebenfalls oft unbeteiligte Zivilisten. «Opfer auch von Waffen, die hier am Bodensee produziert wurden.» 

«Keine Ausweitung der Kampfzone»

Die Antwort auf die Attentate von Brüssel und Paris könne keine «Ausweitung der Kampfzone» seitens der Europäer sein, sagt Engeli. Gegen blutige Gewalt wie diese nutzten weder Überwachungsstaat noch Bomben: «Wer Frieden will, muss Frieden vorbereiten. Und Frieden ist die Frucht der Gerechtigkeit.» Applaus von Hunderten von Händen brandet bei diesem Satz durch die Kirche. 

Draussen lehnen die Spruchbänder und Banner des Ostermarschs an der Kirchenmauer. «Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten!», steht auf einem; dies ist zugleich das Motto des Friedenswegs 2016. «Wir müssen die Türen aufmachen für Flüchtlinge», sagt Arne Engeli. Es könne nicht sein, dass Europa sie im Mittelmeer ertrinken oder im Schlamm von Idomeni, diesem überfüllten Lager an der griechischen Grenze, ohne Perspektive herumvegetieren lasse.

«Wer Frieden will, muss Frieden vorbereiten. Und Frieden ist die Frucht der Gerechtigkeit.»            

Arne Engeli

 

Vor der psychosozialen Tagesstätte Betula verlangt Christian Brönimann ein grundsätzliches Umdenken beim Umgang mit Flüchtlingen. Bei der Flüchtlingsbetreuung müssten sich die europäischen Staaten auch die Frage nach der Qualität gefallen lassen, sagt der Betula-Leiter. Die «Achtung vor dem Menschen» müsse stets «ein zentraler Wert» sein. 

Diese Achtung vermisst auch die Zürcher Regisseurin Aya Domenig. Sie gibt den Opfern des US-Atombombenabwurfs auf Hiroshima in ihrem Film «Als die Sonne vom Himmel fiel» eine Stimme. Domenig prangert in der evangelischen Kirche die Folgen der Bombe für Hunderttausende Japaner an und die weltweite
Verharmlosung der Atomtechnik. Sie erinnert an zwei Jahrestage: 30 Jahre Tschernobyl, fünf Jahre Fukushima.

Am Hafen warnt der deutsch-schweizerische Schriftsteller Jochen Kelter vor den Freihandelsabkommen CETA, TTIP und TISA. Wenn die ratifiziert werden, so Kelter, «würde das endgültig die Weltherrschaft der Konzerne und das Abdanken der Politik bedeuten». 

«Eine andere Welt ist möglich»

Abdanken soll die Politik aus Sicht der 750 Ostermarschierer aber gerade nicht. Ändern soll sie sich. Doch wird sie sich ändern? Der Nahost-Experte Tilgner antwortet darauf in der katholischen Kirche: «Ich glaube, ich werde das nicht mehr erleben.» 

Arne Engeli hält dagegen: «Eine andere Welt ist möglich.» Dass an diesem Ostermontag so viele Menschen zum Friedensweg nach Romanshorn gekommen seien, sagte er, das sei ein starkes Zeichen. Eines, das Mut mache.

 

Text und Bild: Wolfgang Frey, Romanshorn  – Kirchenbote SG, Mai 2016

 

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