Der Traum vom Freistaat Toggenburg

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21.08.2017
Bildersturm, Täuferhinrichtungen, mehr Autonomie: Das Toggenburg erlebt eine hitzige Reformationszeit. Regie im Hintergrund führt der Wildhauser Zwingli von Zürich aus.

Das Toggenburg gehört zu den «revoltenintensivsten» Gebieten der Alten Eidgenossenschaft. So stellt der Historiker Max Baumann in der
St.Galler Kantonsgeschichte von 2003 fest. Auch die Reformationsjahre sind eine stürmische Zeit und bringen Umwälzungen, die zur heute bestehenden konfessionellen Aufteilung führen.

Drei politische Kräfte
Anfang der 1520er-Jahre gibt es drei politische Kräfte: Der Fürstabt von St.Gallen, die Toggenburger selber und die Stände Schwyz und Glarus. Das Toggenburg ist Untertanengebiet der mächtigen Fürstabtei und hat Abgaben zu entrichten. Aber die mehrheitlich bäuerliche Bevölkerung hat auch Freiheitsrechte, zum Beispiel eine gewisse politische Mitwirkung. Und sie hat grosses Interesse an mehr Autonomie. Drittens sind die Stände Schwyz und Glarus «Schirmorte» der Toggenburger. Würden die Rechte der Toggenburger von einer anderen Macht beschnitten, schreiten sie ein.

Der Brief von Zwingli 
In diese labile Machtbalance kommt mit der reformatorischen Bewegung eine neue Dynamik. Beispiel für die harsche Kritik an finanziellen Abgaben ist ein Schreiben des Hemberger Pfarrers Johann Dörig an einen Fiskalbeamten. «Was ich dir schuldig sei, du Erzschalk?», schreibt er 1524 wegen einer Mahnung und verwahrt sich gegen weitere Zahlungen. Dörig und die Pfarrpersonen in Kirchberg, Wattwil und Stein beginnen nach dem Schriftprinzip zu predigen. 

«Liebe Landlüt»
In dieser aufgeheizten Stimmung schreibt Huldrych Zwingli am 18. Juli 1524 aus Zürich einen Brief an den Landrat und «die lieben Landlüt» im Toggenburg. Der Landrat ist eine Art Parlament von Volksvertretern. Er ist dem vom Fürstabt eingesetzten Landvogt, der im Haupt­ort Lichtensteig residiert, zur Seite gestellt. Ebenfalls im Juli 1524 entscheidet der Landrat, dass die Pfarrer «nur noch das reine Wort Gottes ohne Beimischung menschlicher Satzungen» predigen sollen.

Radikalisierung und «Freistaat»
Damit ist die Reformation innerhalb des Klerus installiert. Aber die Toggenburger wollen mehr und streben politische Autonomie an. 1528 entscheidet sich Bern für die Reformation und das nationale Gewicht der «Neugläubigen» nimmt schlagartig zu. In dieser Euphorie kommt es zum Bildersturm in Lichtensteig und zum Klostersturm im heutigen Alt St.Johann. In der Folge übernimmt der Landrat die politische Macht und die Toggenburger «fiengen an, sich selb zu regieren», wie der Chronist Fridolin Sicher feststellt. Diese Entwicklung gipfelt in der Landsgemeinde im Juni 1530 in Wattwil, in der die Loslösung vom Fürstabt geschieht. Im Oktober 1530 wird der rechtliche Loskauf vollzogen. 

Täuferstreit
Das Toggenburg ist damit «praktisch ein Freistaat», schreibt Gottfried Egli im Buch «Die Reformation im Toggenburg». Die Pfarrerschaft ist in der Neugestaltung der Kirche aktiv, und Zwingli nimmt an der zweiten Toggenburger Synode am 23. März 1531 teil. Beispiel für die hitzige Zeit ist auch der Täuferstreit: In Lichtensteig wird laut Sicher eine so grosse Zahl von Täufern hingerichtet wie sonst nirgends.

Das Ende der Träume
Dann kommt die Wende: Die Reformierten verlieren den Zweiten Kappeler Krieg. Zwingli und ein Teil der Zürcher Elite fallen am 11. Oktober 1531. Die Toggenburger kommen wieder unter die Herrschaft des Fürstabtes, das Bündnis mit den Schirmorten Glarus und Schwyz wird erneuert. Zwischen Wildhaus und Kirchberg entsteht ein Nebeneinander der Konfessionen. 

Unterhalb von Lichtensteig werden Mehrheiten wieder katholisch, im oberen Teil des Toggenburgs bleibt das Übergewicht der Reformierten. Die paritätischen Verhältnisse sind an gemeinsamen Kirchennutzungen sichtbar: in Wattwil und Lichtensteig bis Ende der 1960er-Jahre, in Mogelsberg noch heute.

Die Rolle von Zwingli in der Toggenburger Reformation ist nicht aufgearbeitet. Max Baumann stellt aber fest: «Zwingli ist der heimliche Regisseur der Toggenburger Reformation. Aufgrund persönlicher Beziehungen hat er regelmässig Kontakt und nimmt Einfluss.» 

 

Text: Daniel Klingenberg, Pfr., Kirchgemeinde Mittleres Toggenburg | Bild: Johann Baptist Isenring ©TML  – Kirchenbote SG, September 2017

 

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