Die Corona-Bibel wird der Stiftsbibliothek übergeben

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08.03.2021
Am Sonntag, 14. März, dem Jahrestag des ersten Lockdowns, wird die Corona-Bibel feierlich der St. Galler Stiftsbibliothek übergeben. Über tausend Personen haben das Alte und das Neue Testament abgeschrieben und teils illustriert. Entstanden ist ein eindrückliches Zeugnis aus einer schwierigen Zeit.

Im ersten Lockdown startete Uwe Habenicht, reformierter Pfarrer in St. Gallen, zusammen mit Roman Rieger, Ann- Katrin Gässlein und Matthias Wenk vom Team der katholischen CitySeelsorge die St. Galler Corona-Bibel. Sie riefen dazu auf, die ganze Bibel abzuschreiben. Das Projekt sollte die Menschen während der coronabedingten Isolation verbinden.

Das Interesse war gross. Alle 1189 Kapitel des Alten und Neuen Testaments waren in kurzer Zeit vergeben. Über tausend Personen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland – Kinder, Jugendliche und Erwachsene – schrieben von Hand jeweils ein Kapitel des Alten oder Neuen Testaments ab, etliche versahen die Texte mit Kommentaren und Illustrationen.

3811 Seiten in sieben Bänden
Entstanden sind 3811 individuell gestaltete Seiten, durch die man sich auf der Webseite www.coronabibel.ch klicken kann. Die Originalblätter wurden zu sieben Bänden gebunden. Am 14. März, dem Jahrestag des ersten Lockdowns, werden sie der St. Galler Stiftsbibliothek zur Aufbewahrung übergeben.

«Für uns alle, die wir jetzt ein Jahr lang mit diesem Grossprojekt beschäftigt waren, ist das ein ganz grosser Moment», freut sich Uwe Habenicht. «Ich hätte nie gedacht, dass wir mit so vielen Beteiligten solch enge Kontakte knüpfen würden», sagt der Pfarrer. Das ganze Projekt lief coronakonform hauptsächlich über digitale Kanäle. «Trotzdem ist es sehr persönlich geworden. Viele haben uns geschrieben, wie sie die Coronazeit und das Schreiben erleben. Die Community hat sich umeinander gekümmert. Ich finde es wunderbar, dass eine Gemeinschaft entstanden ist, die das Projekt bis zuletzt trägt», erzählt Habenicht.

«Diese Bibel hat keine Stars»
Mit der Übergabe an die Stiftsbibliothek geben sie das Projekt nun aus den Händen, als Zeitzeugnis für die Nachwelt. Für Uwe Habenicht ist es die Vielstimmigkeit, welche die Corona-Bibel ausmacht. Sie sei «kein fertiger, gedruckter Block», sondern zeige, «dass jede Seite, jedes Kapitel und jede Geschichte von unterschiedlichen Menschen durchlebt» worden sei. «Diese Bibel hat keine Stars, sie ist ein Gemeinschaftsprojekt», betont der Pfarrer. Sie lebe von den einzelnen Menschen, die sich gleichermassen und auf ihre Weise daran beteiligt hätten. «Das macht diese Bibel so einmalig und besonders.»

Die Übergabe an die Stiftsbibliothek sollte ursprünglich bereits im letzten Oktober stattfinden. Aufgrund der epidemiologischen Lage verschob man sie auf diesen Frühling, in der Hoffnung, die Pandemie werde dann vorbei sein. Stattdessen erlebte die Schweiz einen zweiten Lockdown. Die Corona-Bibel ist geschrieben. Kann sie dennoch helfen in diesen schwierigen Zeiten?

Leseaktionen auf der Webseite
«Das hat uns sehr beschäftigt», sagt Uwe Habenicht. «Wir haben gedacht, dass wir schneller da wieder raus sind. Doch wir sehen, dass die Corona-Bibel dank der Online-Version für viele weiterhin grosse Bedeutung hat.» So rufen die Initianten auf der Webseite zu Leseaktionen auf und empfehlen etwa bestimmte Texte zum Herunterladen. «Wir sehen an den Zugriffen, dass dies reichlich genutzt wird», sagt Uwe Habenicht. «So zeigt die Corona-Bibel, dass sie auch nach der Fertigstellung Energie und Kraft hat und uns hilft, durch die Krise zu kommen.»

Dezentrale Feier
Wegen der geltenden Schutzmassnahmen findet die Feier zur Übergabe der Corona-Bibel am kommenden Sonntag an drei Orten statt: in der reformierten Kirche Bruggen, in der Kirche St. Maria in Neudorf und in der reformierten Kirche St. Laurenzen. Danach werden die Originalbände in einer kleinen Prozession in die Stiftskirche St. Gallen gebracht und dem Stiftsbibliothekar Cornel Dora übergeben. Die Feiern in der Kirche St. Laurenzen und in der Kathedrale St. Gallen werden per Livestream übertragen.

Karin Müller, kirchenbote-online

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