«Die Kraft kommt aus dem Kleinen»

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21.12.2018
Peter Roth mag die Weihnachtsgeschichte. Deshalb schenkt sich der Komponist zu seinem 75. Geburtstag im nächsten Jahr ein Weihnachtsoratorium: Er lässt Autobiografisches anklingen und vertont den Bilderzyklus «Christ ist geboren» des Künstlers Willy Fries.

Der Musiker Peter Roth kennt die Weihnachtsnacht. Er hat sie oft allein verbracht. Er beging sie 15 Jahre lang immer gleich: In jungen Jahren, am Heiligabend entstieg er in Rapperswil dem Zug, besuchte die Messe im Kapuzinerkloster, wanderte weiter dem Obersee entlang, kam am Zisterzienserinnenkloster in Wurmsbach vorbei, kletterte beim Wohnturm des Psychiaters Carl Gustav Jung in Bollingen über den Zaun. An diesem magischen, starken Ort entzündete er direkt am See eine Kerze. Er zog dann weiter nach Schmerikon und nahm dort den letzten Zug zurück nach Wattwil. Peter Roth erlebte die Einsamkeit der Nacht und das Geborgensein in der Dunkelheit: «Weihnachten ist für mich vor allem Licht, wenn es am dunkelsten ist.»

Als der Toggenburger 1973 die Leitung eines Kirchenchors übernahm, änderte sich sein Weihnachtsritual. Von nun an standen der Gesang und die Gemeinschaft im Zentrum. Roth machte eine Entdeckung: «Es gibt kaum Lieder und Choräle, die stärker berühren, als jene von Weihnachten.»

Weihnachten vor Ruinen
Für sein Geburtstagsoratorium vertont Peter Roth den Bilderzyklus «Christ ist geboren» (1944–1949) von Willy Fries. Der Wattwiler Künstler (1907–1980) schilderte am Ende des Zweiten Weltkriegs die Weihnachtsgeschichte vor den Ruinen des zerbombten Münchens, mit der Panzerinvasion in der Normandie und dem Kindermord in den Strassen von Paris. «Die Bilder haben eine unheimliche Kraft», sagt der Musiker Peter Roth. Er würde sie nicht in seiner Wohnung aufhängen, doch Fries hole die unter diesem Trümmerfeld verschüttete biblische Erzählung in die Gegenwart, führe das umwälzende Ereignis von Weihnachten vor Augen, mache es spürbar.

Die Weihnachtsgeschichte erzähle von der Kraft, die aus dem Kleinen komme, so Roth. Darauf gelte es, zu schauen. «Gott, das Göttliche wird als Kind geboren. Hier entsteht Neues, darin wurzelt die Botschaft der Nächsten- und Feindesliebe. Der Stall verkörpert Armut, es geht hier nicht um Reiche oder Mächtige. Und die Geburt geschieht in der Nacht und zeigt, dass das Licht in die grösste Dunkelheit einbricht.»

«Friede auf Erden»
Künstler Fries hatte der Sinnhaftigkeit der Katastrophe vertraut und die biblische Geschichte ins Grauen des 2. Weltkriegs versetzt. Roth hält sich nicht starr an den zehnteiligen Zyklus. Er reduziert ihn, stellt ihn um, nennt ihn «Friede auf Erden». Es summt der Chor, es erklingt zu jedem Bild ein bekannter Gemeindechoral. «Das Konzert hat Gottesdienstcharakter. Doch mit dem Einflechten von zeitgenössischen Texten erhalten die Weihnachtslieder an gewissen Stellen eine neue, zeitgemässe Bedeutung», sagt er. Im Chor zum vierten Bild, es zeigt die Invasion in der Normandie mit flüchtenden Hirten und Schafen, stammt der Text von Dorothee Sölle: Es gibt ein Leben vor dem Tod.

Mit dem Text der deutschen Dichterin und Theologin lehnt sich Roth an sein soeben uraufgeführtes Requiem an. Bei der Besetzung mit Holzinstrumenten und Streichern sowie dem Einflechten von Naturjodel schimmert hier die Toggenburger Passion durch, die mit der heiligen Geistin für Aufführungsverbote sorgte. Dieser emanzipatorische Zug findet sich auch im Weihnachtsoratorium wieder. In Solorollen singen Maria, die Mutter von Jesu (Sopran), und Elisabeth, die Mutter von Johannes dem Täufer (Alt). Und Herr Odes, der Tenor, wird in die Gegenwart geholt. Er widerspiegle die Angst vieler egomanischer Staatsoberhäupter unserer Zeit, die Macht und Bedeutung zu verlieren, sagt Peter Roth: «So, wie ein Putin, Trump oder Erdogan.» Doch im Bild von Simeon, dem Bettler, erscheine das erlösende Licht, von dem bereits der Prophet Jesaja erzählt.

Bibel statt Dienstreglement
Diese Bibelpassage erscheint nicht zufällig in Peter Roths Weihnachts-Komposition: Der Lehrer wurde im Militärdienst zu einem dreitägigen Arrest verknurrt. Dabei hatte er die Wahl, im Dienstreglement oder in der Bibel zu lesen. Er entschied sich für letztere. «Im Gewölbekeller drang das einzige Tageslicht durch zwei Oblichter, und ich sah nur die Schuhe der vorbeigehenden Passanten.» Roth las viel. Auch Jesaja 9. «Und plötzlich begann dieser Vers zu klingen. Ich hörte den Text als Musik und realisierte zum ersten Mal, was komponieren bedeutet.» Dann nahm der Eingeschlossene Papier zur Hand und schrieb die Noten nieder. «Wenn man am tiefsten Punkt ist, kommt meist das Licht», erinnert sich Roth. Er komponiert seit 45 Jahren.

Katharina Meier, kirchenbote-online, 21. Dezember 2018

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