«Die Leute brauchen einen Anker»

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19.05.2020
Wie gelingt Seelsorge für Asylsuchende in der Corona-Krise unter strengen Schutzmassnahmen und ohne Freiwillige? Roland Luzi, Seelsorger in den Bundesasylzentren, über neue Ideen und wie wichtig es ist, vor Ort zu sein.

Roland Luzi betreut als Seelsorger Asylsuchende in den Bundesasylzentren in Basel und im solothurnischen Flumenthal/Deitingen. Sein Arbeitgeber ist der von den Landeskirchen der Nordwestschweiz getragene ökumenische Seelsorgedienst für Asylsuchende OeSA in Basel. Als die Corona-Pandemie die Schweiz erreichte und der Bundesrat die ausserordentliche Lage beschloss, sahen sich der OeSA und seine Mitarbeitenden von einem Tag auf den anderen mit Problemen konfrontiert, die niemand hatte voraussehen können: Versammlungsverbot, Abstandhalten, Grenzschliessungen, Corona-Erkrankungen in den Bundesasylzentren und der Rückzug der meisten Freiwilligen.

Wie kann man den Seelsorgedienst sowie andere Hilfsangebote für Asylsuchende unter diesen Bedingungen aufrechterhalten? Flexibilität war gefragt. «In dieser heiklen Phase haben wir beschlossen, eine Telefonseelsorge anzubieten. Wir haben die Räume in den BAZ in den ersten Wochen nicht mehr betreten», erzählt Roland Luzi.

Plexiglasscheiben zum Schutz
Mit Flyern und Anschlägen machten die Seelsorger auf das telefonische Gesprächsangebot aufmerksam. Die Leitung, Betreuende und Pflegende in den Asylzentren vermittelten weitere Kontakte. Als man dann aber, um die Vorschriften des BAG einhalten zu können, Asylsuchende in andere Bundesasylzentren der Nordwestschweiz verlegte, auch ins Feldreben Muttenz, das man nach der Schliessung im letzten Herbst nun wieder öffnete, seien viele Kontakte weggebrochen, sagt Roland Luzi. «Wir bekamen viel weniger Anfragen und merkten, wie stark Seelsorge über persönliche Beziehungen funktioniert. Wir wollten wieder vor Ort sein.»

Plexiglasscheiben in den Seelsorgezimmern machten dies möglich. Nachdem sich die neuen Abläufe etabliert hatten, habe sich die Lage beruhigt, eine gewisse Sicherheit sei zurückgekehrt, so Luzi. «In Flumenthal war ich nach knapp drei Wochen wieder präsent und begann vorsichtig Kontakte zu knüpfen.» In Basel richtete die OeSA in ihrem Domizil neben dem Bundesasylzentrum ein eigenes Seelsorgezimmer ein.

Viele Asylsuchende fürchteten sich vor dem Virus und einer Ansteckung. «Diese Angst teilen sie mit uns», sagt Roland Luzi. Dazu kamen Sorgen, die mit ihrer besonderen Situation zusammenhängen. So sind keine Rückführungen in andere Länder möglich, wenn die Grenzen geschlossen sind. «Diese Perspektivlosigkeit, auf unbestimmte Zeit hier bleiben zu müssen, ist sehr belastend. Die Leute verlieren Monate ihres Lebens in einer gefühlsmässig aussichtslosen Situation», erklärt Luzi. «In den Gesprächen überlegten wir, wie sie diese Zeit trotzdem nutzen und sinnvoll verbringen können.»

Gefragt: Profis mit Ideen
Er sei als einer der ersten wieder vor Ort gewesen, erinnert sich der Seelsorger. «Darum musste ich auch viel vermitteln.» Etwa Kontakte zur Rechtsberatung und -vertretung des Heks, das seine Anlaufstelle in Flumenthal wegen der Pandemie schliessen musste.

Andere Angebote wie das Musikprojekt «Très très fort», bei dem Asylsuchende im Bundesasylzentrum Basel miteinander singen, musizieren und tanzen, oder der ökumenische Baschi-Treff im Pfarreiheim in Deitingen sind stark auf die Mithilfe von Freiwilligen angewiesen. Viele haben ihr Engagement sistiert. Dafür habe er vollstes Verständnis, schliesslich gehörten die meisten von ihnen zur Risikogruppe, betont Roland Luzi. Es sei darum umso wichtiger, dass in dieser Situation die Initiative von den Mitarbeitenden ausgehe. «Hier sind wir als Profis mit Ideen gefragt, wie wir die Angebote weiterführen können.»

Den Baschi-Treff möchte Luzi wieder aktivieren, indem man sich zum Beispiel im Garten trifft, wo die Teilnehmenden den Zwei-Meter-Abstand einhalten können. Und das Musikprojekt, bei dem jeweils bis zu 50 Personen in einem Zimmer zusammenkamen, ist nun coronatauglich. Einmal in der Woche gibt eine kleinere Gruppe ein «Balkonkonzert» beim OeSA-Haus.

Etwas Normalität zurückbringen
Die schrittweise Öffnung geht voran. In Basel bietet der OeSA draussen wieder Kaffee, Tee, Früchte und andere Lebensmittel der Schweizer Tafel an. Die Praktikantin und Flüchtlinge helfen und schauen, dass alle die Schutzmassnahmen einhalten. Der Kaffeeraum mit Bar und die Küche hingegen bleiben bis auf Weiteres geschlossen und in die enge Kleiderstube wird jeweils nur eine Person eingelassen. «Es gibt Möglichkeiten, wieder etwas Normalität ins Leben zu bringen», sagt Roland Luzi.

Sein Fazit: «Es war eine Herausforderung. Als Team mussten wir ständig unsere Rollen anpassen, von Tag zu Tag neue Aufgaben übernehmen oder an neuen Orten präsent sein.» Roland Luzi kann der Corona-Krise auch Positives abgewinnen: «Es war ein kluger Entscheid, möglichst bald wieder vor Ort zu sein.» Es habe sich gezeigt, «dass die Leute einen Anker brauchen, jemanden, auf den sie sich verlassen können». Die Seelsorge werde gerade in einer Krise wie dieser sehr geschätzt.

Karin Müller, kirchenbote-online

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