«Dieser Mann war bolzengerade»

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27.03.2017
Als «Kirchenvater» verehrt, als «Ketzer» geschmäht. Im Film «Gottes fröhlicher Partisan» zeigt Regisseur und Filmproduzent Peter Reichenbach den reformierten Basler Theologen Karl Barth (1886–1968) als unbestechliche und unkonventionelle Persönlichkeit.

Auf dem Bildschirm erscheint die Schwarz-weiss-Fotografie eines unscheinbaren älteren Mannes. Dazu sagt die Stimme aus dem Off: «Er legte sich mit den Mächtigen seiner Zeit an. Für die einen war er der Kirchenvater des 20. Jahrhunderts, für die anderen ein Ketzer – der Schweizer Theologe Karl Barth.» So beginnt der Zürcher Regisseur und Filmproduzent Peter Reichenbach sein Porträt über Karl Barth, der zu Lebzeiten weltberühmt war, ein «Star», dem die Magazine «Time» und «Der Spiegel» ganze Titelgeschichten widmeten. Heute sei der Basler Theologe in Amerika und bei den christlichen Minderheiten in Japan und Korea bekannter als in Westeuropa, sagt im Film Niklaus Peter, Pfarrer am Zürcher Fraumünster und verheiratet mit Barth-Enkelin Vreni Peter-Barth. Ausserhalb theologischer Kreise kennt man Karl Barth bei uns kaum noch.

Das erstaunt Peter Reichenbach nicht: «Man beschäftigt sich in der Schweiz lieber mit den Tätern, das Böse ist spannender.» Als Beispiel nennt er den St. Galler Polizeihauptmann Paul Grüninger, der während des Zweiten Weltkrieges jüdische Flüchtlinge rettete. Auch er ein Unbequemer wie Karl Barth, den der Produzent mit dem Film «Akte Grüninger» ins Bewusstsein der Schweizer Bevölkerung zurückbrachte. Mit «Gottes fröhlicher Partisan» übernahm Reichenbach für seinen Karl-Barth-Film den Titel des Spiegel-Magazins von 1959: «Ich finde, das passt zu Karl Barth, das Partisanhafte, Unkonventionelle – zudem hatte Barth Humor.»

Reichenbachs Film verwendet Originalaufnahmen von Karl Barth und zitiert aus seinen Schriften. Diese ergeben zusammen mit der Einordnung eines Historikers und den Stimmen von Theologen, Weggefährten und Familienmitgliedern ein lebendiges und bemerkenswert aktuelles Bild des vor bald einem halben Jahrhundert verstorbenen «Kirchenvaters».

Der «rote» Pfarrer
Als «roter» Dorfpfarrer solidarisierte sich Karl Barth ab 1911 mit der Arbeiterschaft im Aargauischen Safenwil. Er widersetzte sich 1933 als Uniprofessor in Bonn den Nationalsozialisten und verweigerte den Eid auf den Führer. Ab 1945 kämpfte er als einer der ersten für Versöhnung und einen Neuanfang im Nachkriegsdeutschland. Während des Kalten Krieges lehnte er die Wiederbewaffnung Deutschlands ab, kritisierte das atomare Wettrüsten und nach seiner Rückkehr nach Basel predigte er lieber im Gefängnis als im Münster. «Karl Barth war ein brillanter Theologe auf hohem intellektuellen Niveau, er war aber auch Seelsorger. Es ging ihm um den Menschen. Er konnte mit den Leuten so reden, dass sie ihn verstanden. Das bewundere ich», sagt Peter Reichenbach.

Barths Devise lautete: «Wer energisch ja sagt, muss auch energisch nein sagen. Das habe ich zu jeder Zeit auf meinem Weg getan.» Gegen die Nationalsozialisten ging es um «ein entschlossenes Nein». Nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch «ersetzte er das antifaschistische Nein durch ein Ja für die Gestaltung der Zukunft», erklärt der Historiker Jakob Tanner im Film. «Karl Barth liess sich nicht verbiegen. Dieser Mut, diese Kraft fasziniert mich. Ich würde ihn nicht als Rebell bezeichnen. Dieser Mann war einfach bolzengerade», sagt Peter Reichenbach.

Einen wie Karl Barth wünscht sich der Regisseur heute: «Ich glaube, er würde gewissen Leuten gewaltig die Leviten lesen. Man hätte ihn gehört.» Zum Beispiel zu den Flüchtlingen. Für sie setzte er sich im Zweiten Weltkrieg ein und forderte von der Schweiz eine grosszügige Haltung: «Die Flüchtlinge gehen uns an.»

Schwierige Dreiecksbeziehung
Auch privat ging Barth seinen eigenen Weg. Seit 1929 lebte der fünffache Familienvater mit seiner Frau Nelly Hoffmann und seiner Geliebten Charlotte von Kirschbaum in einer Ménage à trois. Wie kompliziert diese Beziehung war, schildern im Film die Theologin Elke Pahud de Mortanges, die über «die Liebesgeschichte, die keine sein durfte» schrieb, und die drei Barth-Enkel Vreni Peter-Barth, Dieter Zellweger und Max-Ueli Zellweger.

Peter Reichenbach räumt Charlotte von Kirschbaum viel Platz ein: «Die Liebe zu Charlotte von Kirschbaum offenbart eine weitere, andere Seite von Karl Barth. Er ist kein Denkmal, sondern ein Mensch mit Gefühlen, der sich in eine unglaublich schwierige und auch widersprüchliche Situation hineinmanövriert. Das zu zeigen, ist mir wichtig.»

Barths Frau Nelly bestimmte, dass Charlotte von Kirschbaum nach ihrem Tod 1975 im Familiengrab beigesetzt wurde. «Das zeugt von menschlicher Grösse», sagt Reichenbach. Als er zum ersten Mal am Grab von den dreien stand, habe ihn das stark berührt.

Charlotte von Kirschbaum war nicht nur die Geliebte von Karl Barth, sie unterstützte ihn auch bei der Arbeit an der «Kirchlichen Dogmatik», seinem mit über 9000 Seiten unvollendet gebliebenen theologischen Hauptwerk. Peter Reichenbach glaubt, dass Barth dieses Werk ohne Charlotte nicht geschrieben hätte. «Er brauchte sie. Sie war wie ein Resonanzkörper für ihn. Durch sie hörte er seine Gedanken.»

«Fremde Materie» Theologie
Theologie ist für Peter Reichenbach nach wie vor «eine fremde Materie». Aber die Beschäftigung mit Karl Barth hinterliess Spuren. «Ich hatte das Gefühl, ein überzeugter Atheist zu sein. Als ich Barth las, kam alles durcheinander.» Dem Regisseur geht es nicht darum, Barths «Kirchliche Dogmatik, zu verstehen». Barth selber wusste: «Es gibt nicht viele Theologen, die den Mut haben, die ganze Kirchliche Dogmatik zu lesen.» Viel häufiger täten dies Laien, «die mich dann auch richtig verstanden haben». Peter Reichenbach sieht seinen Film als «Büchsenöffner». Die Zuschauer sollen am Inhalt «Karl Barth» schnuppern, und wen er neugierig gemacht habe, könne sich danach eingehender mit dieser spannenden Persönlichkeit beschäftigen, mit dem theologischen, politischen oder privaten Karl Barth.

Ausstrahlungstermin: «Gottes fröhlicher Partisan»: Sternstunde Religion, SRF 1, 9. April , 10 Uhr

Karin Müller / Kirchenbote / 27. März 2017

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

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