Ein Gebet steigt auf
«Hanna aber antwortete und sprach: So ist es nicht, mein Herr, ich bin eine verzweifelte Frau. Und ich habe weder Wein noch Bier getrunken, ich habe mein Herz vor dem Herrn ausgeschüttet.»
1. Samuel 1,15 (Zürcher Übersetzung)
Nun sind sie also wieder hier. Wie jedes Jahr. Um zu beten und die Opfergaben zu bringen. Hanna fürchtet sich vor diesem Moment. Denn hier ist alles noch schlimmer. Noch schlimmer als sonst schon.
Von oben herab
Hier lässt es sie die andere mit aller Schärfe spüren. Mit und ohne Worte gibt sie Hanna zu verstehen: Was willst du denn? Du kannst ja keine Kinder bekommen! – Als ob Hanna nicht ohnehin schon unter ihrer Kinderlosigkeit leiden würde. Wie gerne wäre sie selbst Mutter! Dieses ständige hochnäsige Getue. Diese immer neuen feinen Nadelstiche. Sie setzen Hanna zu. Sie mag nicht mehr essen. Und immer wieder laufen ihr die Tränen übers Gesicht.
Angehört und missverstanden
Heute wurde es Hanna zu viel. Sie musste weg von der feiernden Gesellschaft. Allein sein. Mit sich. Und mit Gott. Alles loswerden. Allen Schmerz, alles Elend. Abladen und loslassen. Und hoffend bitten. Um ein Kind. Dass das Leben anders, besser werde. Dass das Leben neu beginnen kann.
«Alles loswerden. Allen Schmerz, alles Elend. Abladen und loslassen. Und hoffend bitten. Um ein Kind.»
Tonlos hält Hanna Zwiesprache mit Gott. Bewegt nur ihre Lippen. Jäh wird sie gestört. Der Priester hält sie für betrunken. Doch Hanna wehrt sich, klärt das Missverständnis. Sie hat nicht zu viel getrunken. Aus tiefer Verzweiflung hat sie sich zu Gott geflüchtet.
In Frieden und erhört
Hanna verlässt den Ort mit dem Friedenswunsch des Priesters. Und dem ermutigenden Zuspruch: Es wird geschehen, was du so inständig von Gott erbeten hast! Das Gebet von Hanna ist aufgestiegen. Ihre Verzweiflung, ihr Bitten, ihr Hoffen. Es ist angekommen. Gott lässt nicht im Stich. Damals nicht. Heute nicht.
Text: Christina Nutt | Bild: Joël Roth - Kirchenbote SG, Dezember 2017
Ein Gebet steigt auf