Ein unbewältigtes Trauma
Was man den Hexen vorwarf
«Erstens verändern sie die Gedanken der Menschen zu unbändiger Liebe; zweitens hemmen sie die Zeugungskraft; drittens entfernen sie die zu jenem Akt gehörigen Glieder; viertens verwandeln sie die Menschen durch Blendwerk in Tiergestalten; fünftens vernichten sie die Zeugungskraft der Weibchen; sechstens, dass sie Fehlgeburten bewirken; siebtens, dass sie den Dämonen Kinder darbringen.»
So wird der siebenfache Schadenzauber der Hexen geschildert im berüchtigten Buch «Der Hexenhammer: Malleus Maleficarum» des Dominikaners und Inquisitors Heinrich Kramer, das 1486 in erster Auflage gedruckt wurde und bis zum Ende des 17. Jahrhunderts in 29 Auflagen erschien mit europaweiter Verbreitung. Die Erfindung des Buchdrucks verhalf ihm zu schneller Streuung.
Weitere Vorwürfe lauteten: Sie reiten auf Besen, beschwören den Teufel oder werden von ihm verführt, verkaufen ihre Seele an ihn, haben Geschlechtsverkehr mit ihm, wahlweise geniessen oder verabscheuen sie dies. Sie beherbergen Dämonen, ernähren sich von gebratenen Kindern, töten sie im Mutterleib, verhüten Schwangerschaften, verursachen, Krankheiten, Todesfälle, Unglücke bei Mensch und Vieh, verführen Männer zur Untreue, feiern sexuell freizügige Orgien. Sie sind Wahrsagerinnen, Zauberinnen, Beschwörerinnen, Häretikerinnen, verursachen unerklärliche Heilungen, listig verstecken sie den Teufel in ihren Haaren.
Das Ausmass der Verfolgung
Hunderttausende Frauen wurden zwischen 1450 und 1750 als Hexen angeklagt, gefoltert und hingerichtet. Der Höhepunkt der Verfolgungen lag zwischen 1550 und 1650. Die letzte Hexe in Mitteleuropa war bekanntlich Anna Göldi, die 1782 in Glarus hingerichtet wurde, ein klassischer Justizmord. Letztere liess als Magd das Kind ihrer früheren Herren Nadeln spucken lassen, sogar von ferne.
Gründe für die Hexenverfolgung
Dies alles geschah nicht im «finsteren» Mittelalter, sondern in der frühen Neuzeit, auch noch im Zeitalter der Aufklärung, welches um 1650 begann. Es wurden zwar vor allen Dingen in den Anfängen auch Männer als Zauberer hingerichtet, als es vorwiegend um Häresie (falscher Glaube) ging, doch danach waren die Opfer hauptsächlich Frauen.
Die Kirchen spielten eine tragende Rolle, denn die Verfolgungen begannen ursprünglich mit der Inquisition. Nach der Reformation waren es ausgerechnet die Hexenverfolgungen, in denen sich beide Kirchen trotz der schweren Kämpfe einig waren. Frauen galten als Einfallstor für das Böse (Eva) und Verführerinnen. Sicherlich traf die Kirchen nicht die alleinige Schuld, die Gerichte waren auch staatlich. Doch die Verflochtenheit zwischen Kirchen und Staat war eng.
Die politische Philosophin Silvia Federici zeigt in ihrem Buch «Caliban und die Hexe» soziale und wirtschaftliche Gründe auf, welche zur Hexenverfolgung führten. Der allmähliche Übergang vom Feudalismus (Lehnsherrensystem) zum Kapitalismus sieht sie als wesentlich, dazu gehörten grosse Enteignungen, die Abschaffung von Allmenden (für alle zugängliches Weideland) und die Entdeckung der neuen Welt mit der Einführung der Sklaverei und Ausbeutung der Kolonien. Was man den dortigen Indigenen vorwarf, war oft deckungsgleich mit den Vorwürfen an die Hexen.
Das bekannte «divide et impera» (spalte und herrsche), kam somit auch bei den Hexenverfolgungen zum Zuge, denn sie führten zu einer Entsolidarisierung zwischen den Geschlechtern und einem Klima des Schreckens. Jede Frau konnte als Hexe verdächtigt werden. Angst und Misstrauen führten dazu, dass auch Frauen sich nicht miteinander verbünden konnten. Oft waren die Opfer ältere Frauen, Witwen, Kinderlose. Es traf keineswegs nur welche, die verdächtigt wurden, die anfangs zitierten Schadenszauber anzurichten, sondern im Gegenteil auch solche, die als Hebammen, Heilerinnen und Kräuterkundige tätig waren. Ein ganzes Erfahrungswissen wurde damit ausgemerzt. Es nutzte ihnen nichts, wenn sie angesehen und beliebt waren, sie wurden dennoch hingerichtet. Geständnisse wurden jeweils unter schwerer Folter erzwungen. Gestand eine Frau nicht, nutzte es ihr nichts, dann war sie einfach besonders verstockt.
Der Philosoph René Descartes (1596-1650), der den berühmten Satz aussprach, «Ich denke, also bin ich», hatte ein sehr mechanisches Verständnis des Körpers, ähnlich dem einer Maschine. Tiere könnten keinen Schmerz empfinden, behauptete er. Der Spaltung von Geist und Körper wurde so der Weg bereitet.
Die Sexualität als Ausdruck eines schwer zu beherrschenden körperlichen Triebes wurde entsprechend von kirchlichen und weltlichen Obrigkeiten abgewertet und kontrolliert, nicht nur die von Frauen. Sogar innerhalb der Ehe galt nur eine einzige Stellung als erlaubt und älteren Menschen gestand man keine Sexualität mehr zu, da sie nicht der Reproduktion diente. Daher war auch sogenannter «widernatürlicher Verkehr» ein Grund, der Hexerei angeklagt zu werden. Homosexuelle wurden demzufolge verfolgt und verbrannt, was das englische Schimpfwort «faggot» (Holzbündel) für Schwule drastisch vor Augen führt.
Ausnahmen
Es gab rühmliche Ausnahmen, die sich der Hexenverfolgung früh entgegenstellten. Zum Beispiel der Jesuit Friedrich Spee, Dichter des Adventsliedes «Oh Heiland reiss die Himmel auf». Er war mutmasslich als Seelsorger für angeklagte Hexen bei Prozessen dabei und realisierte, dass die unter Folter erzwungenen Geständnisse keineswegs der Wahrheit entsprachen. Er verfasste das Buch «cautio criminalis» (Rechtliche Bedenken), in welchem er zur Vorsicht anmahnte, unter Folter erzwungene Geständnisse als Wahrheit anzusehen. Er veröffentlichte das Buch anonym, da er Repressionen befürchten musste.
Hexenjagd heute
Hexenverfolgungen sind kein vergangenes Phänomen, es gibt sie auch heute. In Ghana beispielsweise gibt es Hexendörfer, in welchen Frauen Zuflucht suchen, die aus ihrer Gemeinschaft ausgestossen wurden, weil sie von einem Tag auf den anderen der Hexerei beschuldigt wurden. Heute sind es oft Kirchen, die für sie einstehen.
Hexenverfolgungen anderer Art gibt es auch bei uns, vorwiegend durch die sozialen Medien. Im Film «Backlash: Misogyny in the Digital age» erzählt die französische Schauspielerin, Feministin und Opfer von Cybermobbing Marion Séclin, dass für sie das Cybermobbing psychisch schlimmer war als eine Vergewaltigung, die sie in jüngeren Jahren erlitten hatte. Tatsächlich gibt es im Internet Foren, die Frauenhass schüren und sich Algorithmen zunutze machen.
Und die Kirchen?
Nach der Shoah begannen die Kirchen, jahrtausende alten Antijudaismus aufzuarbeiten. Schuld wurde bekannt, antijudaistische Auslegungen oder Aussagen aus Liturgien gestrichen. Jüdisch-christliche Arbeitsgruppen entstanden, schliesslich ausgeweitet auf den Dialog mit allen Religionen. Ein sehr wichtiger und theologisch notwendiger Prozess.
Wäre es nicht ebenso notwendig, Hexenverfolgungen und den christlichen Anteil des Frauenhasses aufzuarbeiten? Warum wird nicht auch hier Schuld bekannt? Politisch und historisch wäre dies ebenso wünschenswert. Wo sind Mahnmale, welche an verbrannte Hexen erinnern? Wo sind Orte, wo sie betrauert werden können? Es gibt davon kaum welche, dafür jede Menge von gefallenen Soldaten.
Es ist ein kollektives Trauma, welches noch weitgehend unbearbeitet schlummert.
Ein unbewältigtes Trauma