«Ein Versuch, Teile der Zivilgesellschaft zum Schweigen zu bringen»

von Tilmann Zuber
min
08.12.2020
Wegen ihres Einsatzes für die Konzernverantwortungsinitiative müssen NGO derzeit viel Kritik einstecken. Nun nimmt Jeanne Pestalozzi, Stiftungsratspräsidentin von Brot für alle, Stellung. Für sie ist klar: Gemeinnützigkeit ist ohne politische Arbeit kaum zu denken.

Im Nachgang zur Abstimmung über die Konzernverantwortungsinitiative (KVI) ist eine Debatte um die politische Aktivität von NGO entbrannt. Wie nehmen Sie diese wahr?
Wir haben mit der KVI ein Volksmehr erreicht – das ist ein historischer Sieg. Daher verstehe ich die starken Reaktionen und dass man nun eine Auslegeordnung zu den verschiedenen Kräften im Abstimmungskampf macht. Was dabei herauskommen wird, kann ich aber noch nicht abschätzen.

Die Parteien von CVP bis SVP haben Vorstösse zum Thema eingereicht. Beunruhigt Sie das?
Ich nehme diese Vorstösse ernst. Dennoch: Wir haben 26 Kantone mit 26 verschiedenen Kirchengesetzgebungen, Steuersystemen und Bestimmungen zu Transparenz. Es ist nicht so einfach, jetzt beispielsweise Änderungen bei der Steuerbefreiung von gemeinnützigen Organisationen einzuführen, wie dies der Vorstoss von Ständerat Ruedi Noser fordert.

Sie sprechen es an – Herr Noser will, dass NGO und Hilfswerke nicht mehr von der Steuer befreit werden, wenn sie politisch aktiv sind. Was würde das für Brot für alle bedeuten?
Organisationen, die Zewo-zertifiziert sind, müssen ihre Jahresrechnung nach Swiss GAP FER 21 abschliessen. In so einer Rechnung wird kein Gewinn ausgewiesen, insofern ist mir nicht ganz klar, wie denn da überhaupt eine Gewinnsteuer aussehen soll. Die andere Frage ist die nach der Steuerabzugsfähigkeit der Spenden. Hier wissen wir schlicht nicht, wie sehr die Leute durch den Abzug zum Spenden motiviert werden und was es für uns bedeuten würde, wenn dies nicht mehr möglich wäre. Also auch hier wieder: Wir nehmen das ernst, aber es gibt noch sehr viele Fragezeichen.

Die Tendenz der Vorstösse ist doch aber klar: Es geht darum, dass sich NGO und Hilfswerke nicht mehr so in die Politik einmischen sollen, wie sie es bei der KVI getan haben.
Interessant ist, dass die einzelnen Organisationen gar nicht so eine Macht haben, wie nun teilweise suggeriert wird. Bei der KVI kam die Schlagkraft aus der Allianz – 130 NGO, Hilfswerke und Tausende von Freiwilligen haben zusammengespannt. Und das ist in der Tat etwas Neues, eine neue Form, wie sich die Zivilgesellschaft organisieren und sich Gehör verschaffen kann. Es ist unbestritten, dass das eine gewaltige Herausforderung für die klassisch organisierten Player ist – für die Wirtschaft, die Parteien, den Staat, aber übrigens auch für die Kirchen. Die Kritik, die nun auf die Hilfswerke niederprasselt, empfinde ich vor diesem Hintergrund schon fast als Auszeichnung.

Jetzt sind Sie aber sehr diplomatisch. Hand aufs Herz – ärgert es Sie nicht, dass man Ihnen in politischen Belangen quasi den Mund verbieten will?
Ich finde es schade – und ich finde es falsch. Für mich ist die Antwort auf die Frage, ob sich Hilfswerke politisch engagieren dürfen, ganz klar ja. Denn Gemeinnützigkeit hat neben dem Wohl der Begünstigten immer die Gesellschaft als Ganzes im Blick und insbesondere die Ursachen, die erst zu einer Not geführt haben. Ich wüsste gar nicht, wie Gemeinnützigkeit funktionieren sollte, ohne auch die Wurzeln der Ungerechtigkeit zu benennen und sich für eine Verbesserung der entsprechenden Rahmenbedingungen einzusetzen. Für Brot für alle gilt sogar: Wir müssen uns entwicklungspolitisch engagieren. Das ist im Stiftungszweck so festgehalten, und die Landeskirchen haben uns dafür mandatiert.

Andere Parlamentarier fordern von den NGO mehr Transparenz über ihre Finanzen …
… da bin ich nun wirklich gelassen. Wir müssen ohnehin sehr transparent unsere Geldflüsse offenlegen, um die Zewo-Zertifizierung zu erhalten.

Können Sie erklären, wie sich die Mittel von Brot für alle zusammensetzen und wie sie verwendet werden?Unser Geld stammt hauptsächlich aus drei Quellen: Erstens von den Kirchgemeinden, zweitens von Privaten – also Privatpersonen oder Stiftungen – und drittens von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Die Deza-Gelder werden zweckgebunden für die Arbeit von Partnerorganisationen im Süden eingesetzt. Unsere Sensibilisierungs- und Kampagnenarbeit in der Schweiz, zu der auch die Ökumenische Kampagne gehört, finanzieren wir mit zweckgebundenen Spenden sowie mit freien Spenden von Kirchen und Privaten. Unsere Spenderinnen können selbst entscheiden, ob sie für ein bestimmtes Programm spenden oder uns eine freie Spende überweisen wollen. In jedem Fall wissen sie, wofür wir das Geld einsetzen.

Wieso?
Weil wir sowohl auf unserer Website wie auch in unserem Spendermagazin und in unseren Spendenmailings seit Jahren darüber schreiben, wie wir das Geld einsetzen. Erwähnenswert ist im Übrigen, dass die Menschen sehr stark für die Entwicklungspolitik gespendet haben – trotz Corona ist dieser Posten nicht geschrumpft, sondern grösser geworden.

Kürzlich wurde bekannt, dass beim Hilfswerk Solidar Suisse Gelder von der Deza indirekt in den Abstimmungskampf geflossen sind. Das zeigt, dass es durchaus zu Zweckentfremdungen kommen kann.
Meiner Meinung nach wird dieser Fall extrem hochgekocht. Es geht dabei um 24'000 Franken. Der Gesamtbetrag für die institutionellen Partnerschaften bei der Deza – also Gelder, die für die Zusammenarbeit mit Hilfswerken zur Verfügung stehen – beläuft sich auf rund 126 Millionen Franken. Nun wurde ein Bruchteil davon offenbar falsch verbucht. Als der Fehler – und ja, wo Menschen arbeiten, geschehen Fehler – bemerkt wurde, hat Solidar Suisse das Geld sofort zurückbezahlt. Aus Erfahrung kann ich Ihnen sagen: Die Deza schaut wie ein Häftlimacher, dass alles korrekt läuft, und das ist auch richtig so.

Wie beeinflusst diese Debatte nun die künftige Strategie von Brot für alle?
Was jetzt läuft, kann ich nur als Versuch interpretieren, einen Teil der Gesellschaft zum Schweigen zu bringen. Das trifft den Kern unserer Arbeit, die ja darauf zielt, in den Ländern des Südens eine starke, sprach- und handlungsfähige Zivilgesellschaft mitaufbauen zu helfen. Nun sehen wir, dass das offenbar auch in der Schweiz ein Thema ist. Es kommt mir vor wie verkehrte Welt, dass man sich über die Stimme der Hilfswerke nicht freut, sondern sie als Problem ansieht. Deshalb motiviert uns die Debatte, mit unserer Arbeit fortzufahren und den Menschen, denen unsere Themen wichtig sind, eine Stimme zu verleihen.

Und ganz konkret? Ist von Seiten Brot für alle mit weiteren Kampagnen à la KVI zu rechnen?
Je nach Thema kann es schon sein, dass wir uns im Rahmen einer Allianz bald wieder bei Abstimmungen engagieren. Aber so etwas wie die KVI sehe ich nicht für heute und morgen. Allein schon wegen der Kraft, die das gekostet hat. Aber auch vom Thema her: Die KVI war für uns zentral, weil wir uns seit Jahren mit dem Thema Wirtschaft und Menschenrechte beschäftigen – es ist neben der Ernährungssicherheit dasKernthema von Brot für alle. In diesem Sinne war unser Engagement für die KVI eine logische Fortsetzung davon.

Brot für alle steht kurz vor dem Zusammenschluss mit dem anderen reformierten Hilfswerk Heks. Dieses ist in politischen Belangen weitaus weniger exponiert. Beeinflusst die Debatte die Fusionspläne?
Dass sich Heks bei der KVI weniger sichtbar engagiert hat, war eine bewusste Arbeitsteilung, die sich aus dem angesprochenen thematischen Fokus von Brot für alle ergeben hat. Es wäre aber falsch zu denken, dass Heks nicht politisch aktiv ist. Sie engagieren sich mutig beispielsweise bei Fragen von Migration oder Integration. Deswegen ist das politische Engagement des neuen Hilfswerkes auch völlig unbestritten.

Vanessa Buff, ref.ch

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