Er quasselte ununterbrochen
Sie hat Charme, die Pilgerherberge Rapperswil: ein hübsch renovierter Altbau inmitten der Altstadt. Alles ist nahe beieinander: das Zimmer des Hospitalero, des Gastgebers, das gleichzeitig Réception und Büro ist. Der Aufenthaltsraum mit Kochnische, im Gang eine kleine Ecke für Andachten. Und der Schlafraum mit alten Holzbalken, Natursteinmauer und sechs doppelstöckigen Betten. Genutzt wird zurzeit nur die Hälfte. So will es das Corona-Schutzkonzept.
Refugium für Schäferstündchen
Die Romantik der Herberge wollte sich einmal ein feiner Herr zunutze machen, erzählt Stefan Rava, Präsident des Vereins Pilgerherberge. «Er kam um die Mittagszeit herein, wenn normalerweise niemand da ist, auch nicht der Hospitalero.» Woher er den Code für die Tür kannte, sei ihm heute noch ein Rätsel. «Rechts und links hatte er je eine Dame eingehakt, mit hohen Absätzen.» Er wolle den Damen die Herberge zeigen. «Wir vermuteten aber, er wollte sich in der Herberge ein Schäferstündchen gönnen.» Seither wird der Türcode monatlich gewechselt.
«Wer mit dem Rollkoffer kommt, ist kein Pilger.»
Denn die Pilgerherberge soll nur für die Pilger da sein. Dafür sorgen die Hospitaleros, Freiwillige, die einmal jährlich die Herberge für ein paar Tage betreuen. Der Hospitalero ist das Herz der Herberge, Gastwirt und Seelsorger in einem: Er heisst die Gäste willkommen, erledigt den Papierkram, kocht, pflegt Blasen und seelische Wunden. Und er muss Gäste abweisen, die keine Pilger sind. «Die Hotelpreise in Rapperswil sind hoch», erläutert Rava, «da wäre es attraktiv, in der Pilgerherberge Ferien zu machen. Wer mit dem Rollkoffer kommt, ist kein Pilger.»
Den Plapperer zum Bier einladen
Diese Woche haben Inno und Bernadette Hospitalero-Dienst. Der Umgang mit den Pilgern brauche Fingerspitzengefühl, finden sie. Etwa beim Gast, der redete und redete und redete, ohne Punkt und Komma. «Drei junge Frauen waren da», erzählt Bernadette, «und ich spürte, dass sie Ruhe suchten.» Der Gast aber sei so von sich eingenommen gewesen, dass er das gar nicht bemerkte. Da habe sie Inno beiseite genommen und ihm gesagt: «Lade ihn auf ein Bier ein und höre ihm mal eine Stunde lang zu, dann haben die Frauen ihre Ruhe.» Zuhören, das findet auch Inno, sei das Wichtigste als Hospitalero.
Von Freiwilligen betrieben
Die Pilgerherberge Rapperswil wird ausschliesslich von Freiwilligen betrieben. Rund 40 Hospitaleros reissen sich um den Dienst. Unterstützt wird die Herberge unter anderem durch die Reformierte und Katholische Kirchgemeinde Rapperswil-Jona und die Freikirche Prisma. Der Preis für die Übernachtung wurde Corona-bedingt von zwanzig auf dreissig Franken angehoben. «Sonst können wir die Miet- und Unterhaltskosten nicht mehr decken, da wir die Herberge nur zur Hälfte auslasten können», erläutert Rava. Knapp tausend Übernachtungen verzeichnet die Herberge in einem normalen Jahr.
Wenn es in der Herberge funkt
Inno und Bernadette leben in der Nähe von München und sind seit zwei Jahren verheiratet. Kennengelernt haben sie sich als Pilger auf dem Jakobsweg. «Meine damalige Frau hatte die Beziehung mit mir beendet», erzählt Inno seine Geschichte. «Durch das Pilgern wollte ich mit mir wieder ins Reine kommen.» So machte er sich auf von München nach Santiago, jedes Jahr eine Etappe weiter. «Nach den ersten beiden Etappen hatte ich die Trennung verarbeitet. Aber meine Arbeitskollegen meinten, ich könne nun doch nicht aufhören, wenn ich schon so weit sei.» Deswegen pilgerte er in drei weiteren Etappen nach Santiago. «In Ponferrada traf ich dann Bernadette, obwohl ich überhaupt nicht auf der Suche nach einer Partnerin war», lacht er.
Ist denn Pilgern eine Art Partnerbörse? Inno und Bernadette schütteln vehement den Kopf. «Manche denken das, aber das stimmt überhaupt nicht», meint Bernadette. «Wir haben uns bloss gefunden, weil wir gar nicht auf der Suche waren.»
Text | Foto: Stefan Degen – Kirchenbote SG, September 2020
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