«Er zeigt, was ist!»
Die Vorstellung wie sein Halsschmuck einst aussehen sollte, war für den Bütschwiler früh klar. Allein, es fehlte vorerst das Geld dazu. Mit 40 Jahren stiess er in Bassano del Grappa aufs Wunschobjekt: Jesus, umschlossen von einer harmonischen Form sollte es sein, nicht das klassische Kreuz. Damit bedient der in San Bonfacio (Provinz Verona im Veneto) Geborene nicht das Klischee des klassischen Italieners, das den stolzen Südländer mit dem grossen, goldenen Kreuz auf der braungebrannten, behaarten Brust zeigt, weil das Hemd bis an den Bauchansatz geöffnet ist. «Dies wollte ich tunlichst vermeiden», sagt der 75-Jährige.
Ins Kino statt in die Kirche
Im Alltag blitzt denn der Jesus-Anhänger nicht auf, er bleibt unter dem Stoff verborgen. «Aber ich trage meine Kette Tag und Nacht, auch in der Sauna.» Denn das Schmuckstück ist auch ein Geburtstagsgeschenk seiner Frau Silvia. Sie war dabei, als ein Bekannter Luigi Regazzin auf den Goldschmied aufmerksam machte, der genau einen solchen Jesus-Anhänger im Laden führte, wie ihn sich der Barbiere immer wünschte. Seither begleitet ihn Jesus in Form des Anhängers. «Er zeigt, was los ist.» Der Glaube an Gott spielte bei Luigi Regazzin immer eine Rolle. Seine vier Schwestern, der Bruder und «Gigi» wuchsen streng katholisch auf. Der Vater kontrollierte, ob die Messe besucht wurde oder nicht.
«Vater kontrollierte, ob ich in der Kirche war, wusste, dass ich gern ins Kino schlich.»
Er kannte die Marotten des Jüngsten, der jeweils die Abzweigung nahm und am Sonntagnachmittag ins Kino schlich. Dann musste er am Abend das Versäumte nachholen, oder es gab eine Schelte. «Geflucht haben die Eltern aber nie. Und wenn, dann kam ihnen höchstens ein ‹porca miseria› über die Lippen.» Dies hat sich Luigi Regazzin zu Eigen gemacht. Und der Glaube trägt ihn durch Schicksalsschläge, schenkt ihm Vertrauen, macht ihn demütig und dankbar. Jeden Abend vor dem Zubettgehen drückt er dies in längeren, laut gesprochenen Gebeten aus. Heute geht der in Bütschwil Wohnhafte nicht mehr regelmässig in die Kirche – ausser an hohen Feiertagen oder an seinem Geburtsort, wo er auch den Friedhof besucht.
Früh Bärte eingeseift
1967 kam Regazzin in die Schweiz, um hier sein Glück als Coiffeur zu versuchen. Das Handwerk kannte er in- und auswendig. Schon mit neun Jahren seifte er, auf einem Schemel stehend, die bärtigen Männer ein. 1971 wagte er in Ebnat-Kappel den Schritt in die Selbständigkeit. «Mit der Zeit wurde ich selber zu einem ‹Seelsorger›, denn ich teile auch viel Freud', aber auch Leid meiner Kunden.» Der Austausch mit ihnen gibt dem Coiffeur viel. «Dank ihnen kann ich heute über den Tod sprechen», sagt Regazzin, der sehr früh seine Lieblingsschwester verloren hatte.
Text | Foto: Katharina Meier – Kirchenbote SG, März 2020
«Er zeigt, was ist!»