Erstmals in der Schweiz: Businesslunch in der Stille

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14.12.2021
Lust auf ein Rendez-vous mit sich selber? Der Businesslunch «Silentium» des Pfarramts für Industrie und Wirtschaft beider Basel bietet Berufstätigen in der Stille einer Kirche eine Pause vom durchgetakteten Arbeitsalltag. Wie die Stille zum besten Freund und Kreativitätsförderer wird.

Es ist alles still. Ein sanfter Luftzug lässt eine Kerzenflamme aufflackern. Auf den festlich geschmückten Tisch fallen Herbstsonnenstrahlen durch das Kirchenfenster. Der sanfte Duft von Polenta und frisch gekochtem Gemüse erfüllt den Raum. Wortlos da und dort ein freundliches Nicken zur Begrüssung, glänzend glattpolierte Lederschuhe nehmen unter dem Tisch Platz. Alles ist breit für den Businesslunch in der Stille.

Die Geschäftsleute nehmen Platz
Unter dem Titel «Silentium» laden das Pfarramt für Industrie und Wirtschaft beider Basel und die reformierte Kirche Basel-West zum Businesslunch ein. Zur Ruhe kommen, klare Gedanken freischalten, den Weg zu sich selber wiederfinden – die Motive des Veranstalters sprechen aus dem Herzen von vielen gestressten Berufstätigen. Von der Personalleiterin über den Archäologen bis zur Kommunikationswirtin – Platz genommen haben heute ungefähr 15 Geschäftsleute im Chor der Peterskirche in Basel. Gekocht wird in der Küche gleich im Nebenraum. Sigrist und gelernter Koch Tara Sapkota zaubert den Gästen ein vegetarisches 3-Gang Menu auf den Tisch.

Viertel nach Zwölf. Die Gastgeberin Delphine Conzelmann begrüsst die Teilnehmenden mit dem Psalm 23: «Der Herr ist mein Hirte … er führt mich zu frischen Quellen». Die nächste Dreiviertelstunde wird nur mit Handzeichen und Blicken kommuniziert. Die Theologin und Angestellte des Pfarramts für Industrie und Wirtschaft ermutigt alle, die Zeit in der Stille in vollen Zügen zu geniessen. «Heute Mittag haben wir die Gelegenheit die Güte und Liebe wiederzuentdecken, die uns täglich begleitet. In den Geschäftigkeiten des Alltags finden unsere Gedanken einfach statt und beeinflussen unser Gemüt und unsere Stimmung. Jetzt können wir diese Gedanken ordnen und bewusst wahrnehmen. So, dass wir die frische Quelle in der Stille klarer erkennen, die uns täglich Liebe schenkt.»

Äussere Einflüsse unterbrechen
Zur Vorspeise wird Nüsslisalat mit Granatapfel serviert. Die Stille lädt dazu ein, bewusst zu essen, mit jedem Bissen die Geschmäcker wahrzunehmen. «Kreativität entsteht dort, wo man nichts macht», ist Conzelmann überzeugt. «Es geht nicht einfach um Stille, sondern um den Moment, in dem die äusseren Einflüsse unterbrochen werden.» Die Mitinitiantin des Businesslunch gibt zu, anfangs selber skeptisch gewesen zu sein. Stört die Stille während dem dreiviertelstündigen Essen? Meldet sich überhaupt jemand an?

Doch die positiven Rückmeldungen der Teilnehmenden haben das Gegenteil gezeigt. Die Kommunikationswirtin Britta Toukabri etwa berichtet begeistert: «Ich wollte wissen, was passiert in diesem Experiment der Stille. Welche Art der Kommunikation findet statt. Kurz nach dem Beginn hat sich dann eine Wärme ausgebreitet, eine Liebe hat den Raum erfüllt.» Eigentlich sei sehr viel ohne Worte gesagt worden.

Jahrhundertealte klösterliche Tradition
Auch oder gerade im heutigen Alltag hat die Konfrontation mit Stille höchste Aktualität, ist Conzelmann überzeugt: «Wir brauchen die Stille, um uns selber zu finden. Wer in sich selbst ruht, ist wirklich in Bewegung. In der Stille knüpfe ich Beziehung zu mir selbst.» Stille zum Beispiel beim Essen habe eine jahrhundertealte klösterliche Tradition. Mönche bauten Stille bewusst in Ihren Alltag ein und schätzten die fehlende Ablenkung. «In der Stille können sie eine innere Mitte schaffen, in der Gott besser hörbar ist.»

Inzwischen wird der Hauptgang von den freiwilligen Mitarbeiterinnen geräuschlos serviert. Leuchtend gelbe Polenta-Schnitten gebettet auf das Weinrot des Ratatouille Gemüses mit Kurkuma und grünem Peterli zaubern ein Farbenspektakel auf den Teller. Das leise Klimpern von Gabel und Messer erfüllt den Raum und erinnert an fernes Kuhglockengebimmel auf einer einsamen Alp.

Im Studium und während ihrer Doktorarbeit kam das Thema Ruhe im Leben von Conzelmann viel zu kurz. «Doch als ich mich während der Planung und Durchführung des Businesslunch mit der Stille beschäftigte, wurde mir selbst eine unbeschreibliche Ruhe geschenkt.» Gott könne für sie durchaus auch im hektischen Alltag hörbar sein. «Aber im Rahmen der Stille öffnet man den Zugang zur inneren Mitte, in der Gott besser hörbar ist. Im Alltag kann ich das, was ich in diesem Zustand gelernt und erkannt habe, dann besser anwenden».

«Kirchen, Orte der Ruhe»
Auch Martin Allemann, Archäologe, hat den Rahmen des Businesslunch als grosse Hilfe erlebt: «Der Albtraum bei jeder Hochzeit sind Gäste, die sich einen Abend schweigend gegenübersitzen. Im Kontext der heutigen Veranstaltung ist die Stille jedoch Selbstverständlichkeit. Das nimmt jeglichen Druck und befreit, die Ruhe in der angenehmen Atmosphäre der Kirche zu geniessen.» Ausserdem habe ihm der Businesslunch die Struktur gegeben, einmal Zeit fürs Abschalten und Neuorientieren einzuplanen. Seine Erwartungen seien voll und ganz erfüllt worden.

Nach dem Hauptgang verlässt der Businesslunch seinen geplanten Weg. Orgelspiel unterbricht das Silentium, Gesichter werden lebhafter, die Runde lacht herzhaft. Kein Grund für Delphine Conzelmann die Fassung zu verlieren: «Das war nicht so geplant, aber das Intermezzo passt. Lasst uns während dem Dessert das Schweigen brechen.» Wer will, geniesst noch einen Kaffee und unterhält sich in der Runde. Auffallend, dass keiner der Teilnehmer ruhelos aufspringt und zur Arbeit eilt.

Michael Schaeppi, kirchenbote-online

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