Es groovt schon bei den Proben
Ein Abend im September in der «Stami»-Kirche in St. Gallen. Draussen herrscht Hundewetter. Drinnen aber «groovt» es: 400 Sängerinnen und Sänger proben für das Chormusical Martin Luther King.
Am Klavier sitzt Andreas Hausammann. Der Beauftragte für populäre Musik der St. Galler Kantonalkirche ist Kopf des Musicals. Vor vier Jahren hat er bereits das Luther-Pop-Oratorium nach St. Gallen geholt, nun präsidiert er den Verein Martin-Luther-King-Musical, der von der Reformierten Kirche des Kantons St. Gallen unterstützt wird. «Unser Ziel ist es, Singfreudige in der Ostschweiz für dieses ökumenische Projekt zu begeistern und das Musical gemeinsam auf die Beine zu stellen», so Hausammann. Sowohl ganze Chöre als auch einzelne Sängerinnen und Sänger machen beim Projekt mit.
Hühnerhaut-Atmosphäre
Eine von ihnen ist Petra Rechsteiner aus Wallenwil TG. Sie ist ein musikalischer Tausendsassa, singt in verschiedenen Chören und spielt in einer Rentnerband – «als jüngstes Mitglied», wie sie betont. Speziell am Martin-Luther-King-Musical sei die Grösse: «400 Sängerinnen und Sänger in der Olmahalle, das ist Hühnerhaut pur!», schwärmt sie. Auch Annette Hergert aus Kaltbrunn freut sich auf den Auftritt mit den Profisängern. Wichtig ist ihr aber auch die Story des Musicals: «Martin Luther King war zum Teil allein auf weiter Flur. Was er bewegt hat, ist beeindruckend.»
King wurde angefeindet
Das Libretto zum Musical stammt aus der Feder von Andreas Malessa. Der deutsche Theologe und Journalist ist King-Spezialist und kannte die älteste Tochter des Friedensnobelpreisträgers persönlich. Das Musical erzähle viele unbekannte Facetten aus dem Leben Kings, sagt er. Es zeige auf, wie wichtig der Glaube für das Wirken des Baptistenpfarrers war: «Es geht um eine konkrete Utopie, eine Idee, für die es sich zu kämpfen lohnt, auch wenn sie noch nicht verwirklicht ist. Was für Martin Luther King die US-Afroamerikaner in den 60er-Jahren waren, sind für uns heute die Flüchtlinge und die ‹Working Poor›.»
Die Botschaft des Musicals ist auch Andri Letta aus Grabs wichtig. «Wir werden ja im Leben manchmal auch angefeindet, müssen Widerstände überwinden», stellt er fest. Wie Martin Luther King beharrlich seine Ziele verfolgte, beeindrucke ihn. Der passionierte Sänger macht auch sonst in verschiedenen Chören mit. Am Martin-Luther-King-Musical imponiert ihm einerseits die Grösse des Chores, andererseits bedauert er die Anonymität: «Bei kleineren Chören hat man mehr Kontakt untereinander. Hier kenne ich die meisten Leute nicht.»
Kann es noch besser werden?
Frage an Andri Letta, den erfahrenen Sänger: Was muss noch besser werden bis zur Aufführung? «Die Dynamik», findet er. «Die Gefahr ist, dass die Augen an den Noten kleben. Aber sie sollten am Dirigenten kleben.» Annette Hergert pflichtet ihm bei: «Wir müssen die Lieder auswendig lernen, damit die Aufmerksamkeit beim Dirigenten liegt. Simon Griesinger dirigiert nämlich hervorragend.»
Mittlerweile ist die Probe vorbei. Die Sängerinnen und Sänger strömen raus ins kalte Regenwetter. Viele kennen einander nicht. Und doch erwecken sie den Eindruck einer eingeschworenen Gemeinschaft.
Text und Foto: Stefan Degen – Kirchenbote SG, Ende Oktober 2022
Es groovt schon bei den Proben