Europas Protestanten und der Vatikan suchen den Dialog
45 Jahre nach ihrer Gründung auf dem Leuenberg im Kanton Baselland trifft sich die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa GEKE vom 13. bis zum 18. September erstmals wieder in der Schweiz, in Basel. Höhepunkt war am Bettag die Absichtserklärung zum gemeinsamen Dialog zwischen Evangelischen und Katholiken, die GEKE-Präsident Gottfried Locher und Kurienkardinal Kurt Koch unter den Augen von 650 Gästen im Rahmen eines Festgottesdienstes im Münster unterzeichneten.
Die GEKE vertritt die Anliegen von rund 50 Millionen Protestanten aus 94 lutherischen, methodistischen, reformierten und unierten Kirchen aus über 30 Ländern. Ziel ist die «Einheit in versöhnter Vielfalt».
Das Verbindende betonen
Das Grusswort der Landesregierung überbrachte Bundesrat Ignazio Cassis. «Ich freue mich, zu Ihnen als Katholik zu sprechen aus einem Kanton, wo die Reformation nur spärlich Fuss fassen konnte», meinte der Tessiner. Er bezeichnete die Absichtserklärung als wichtigen Schritt, «auch weil in der Vergangenheit nicht immer das Verbindende betont wurde, sondern oft auch das Trennende».
Cassis blickte zurück auf die historischen Differenzen zwischen den Konfessionen in der Schweiz, die 1847 im Sonderbundskrieg gipfelten. Er verwies darauf, dass die Absichtserklärung am eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag unterzeichnet wird und dies kein Zufall sei. Es ist der staatliche Feiertag, der nach der Gründung des Bundesstaates den Graben zwischen den Konfessionen überwinden sollte.
Ermutigendes Signal für die Schweiz
Basel sei mit seiner Tradition als Gastgeberin wichtiger kirchlicher Versammlungen der richtige Ort für die Unterzeichnung der Absichtserklärung, sagte Cassis weiter. Hier fand im 15. Jahrhundert das Konzil statt und 1989 die erste Europäische Ökumenische Versammlung «Frieden in Gerechtigkeit». «Christliche Tradition und Offenheit bilden in dieser Stadt ganz offensichtlich einen guten Rahmen für das Miteinander. Und für Toleranz, Verantwortung und die Freiheit jedes Menschen», so der Bundesrat. Für die Schweiz bedeute die Absichtserklärung ein ermutigendes Signal. «Denn es bedeutet, dass die Schweiz nicht nur ihren Beitrag leisten kann, wenn es darum geht, politische Konflikte zu lösen.»
Empfehlungen für Friedensstifter
Auch GEKE-Präsident Gottfried Locher blickte in seiner Predigt zurück ins Jahr 1989, als sich Europa im Umbruch befand und kurz danach der Eiserne Vorhang fiel. An Pfingsten 1989 habe mit der Europäischen Ökumenischen Versammlung in Basel die Öffnung und die Hoffnung auf Frieden begonnen. «Frieden ist immer relativ, und wer selber in einem bewaffneten Konflikt leben muss, hat weniger Verständnis für Verallgemeinerungen», sagte Locher. Dennoch hätten wir «allen Grund zur Dankbarkeit», «der grosse kontinentale Krieg» sei in Europa ausgeblieben. «Was gibt es heute noch zu tun?», fragte Locher. Die Unsicherheit bleibe die grosse Konstante, Frieden sei flüchtig. Der GEKE-Präsident formulierte daraufhin Empfehlungen für Friedensstifter, denn nicht die «passiv Sanftmütigen» spreche Jesus selig, sondern die «Frieden-Macher». Man dürfe nicht wegsehen, müsse fair streiten und selbstkritisch bleiben.
Unverhandelbare Frauenordination
Im Anschluss an die Predigt unterzeichneten Gottfried Locher und Kardinal Kurt Koch unter grossem Applaus die Absichtserklärung. Trotz der Freude über das historische Ereignis, liessen die beiden keine Zweifel über die Grenzen der Annäherung aufkommen. Unverhandelbar etwa sei die Frauenordination, sagte Locher, ebenso nicht zur Debatte stehe die Einheit mit dem Bischof von Rom, konterte Koch. Er meinte aber auch: «Dass es möglich ist, mit einer Kirchenfamilie einen solchen Dialog zu führen, ist eine Chance.»
Wie geht es weiter?
Auf die Frage, wie sich der Dialog konkret gestaltet, meinte Gottfried Locher, es brauche in den Gruppen, die nun die Arbeit aufnehmen, «ein Gemisch aus Leuten der Basis sowie Fachtheologen und -theologinnen, Personen, die sowohl pastoral wie auch in der Gemeinde zu Hause sind». So könne man eine Akademisierung verhindern. Für die Protestanten unverhandelbar sei nicht nur die Frauenordination, sondern auch die Beteiligung von Laien und das Prinzip der Subsidiarität, dass die Kirche von unten, nicht von oben aufgebaut ist.
Es sei «einmalig und exemplarisch, dass die verschiedenen protestantischen Kirchen in Europa sich in der GEKE zusammentun und mehr Einheit suchen», sagte Kardinal Koch auf Anfrage: «Das muss man stärken und wertschätzen.» Es sei das erste Mal, dass die katholische Weltkirche mit einer regionalen Kirchengemeinschaft wie der GEKE den Dialog aufnehme. Damit werde die Einheit nochmals gefördert. Mit weiteren Aussagen hielt sich Koch zurück. Er wolle den Gesprächen nicht vorgreifen.
Einfluss auf Schweizer Reformierte
Der Dialog mit Rom könnte auch für die Schweizer Reformierten etwas bewirken. Die Ökumene funktioniere in den Kirchgemeinden oft sehr gut. Sobald jedoch ein neuer Priester komme, der die Ökumene nicht kenne und sich ans Lehramt halte, gebe es Probleme, erklärte Gottfried Locher. Gemeinsame Beschlüsse könnten sowohl auf evangelischer wie auf katholischer Seite mehr Klarheit und Verbindlichkeit schaffen. In Zukunft wäre der Vatikan beim Dialog präsent, so Locher.
_________________________________
Bundesrat Ignazio Cassis:
«Ohne gegenseitigen Respekt funktioniert es nicht»
Die Feier zur Absichtserklärung zwischen den Evangelischen Kirchen Europas und dem Vatikan fand unter dem Stichwort «Frieden» statt. Für Bundesrat Ignazio Cassis gehört Friedensförderung zum guten Dienst der Schweiz und der Kirchen.
Herr Bundesrat, die Kirchen sind in der Schweiz die Angelegenheit der Kantone. Trotzdem, was erwarten Sie als Bundesrat vom künftigen Dialog zwischen den Evangelischen und dem Vatikan?
Wachstum, Frieden, Überlegungen und Lösungen zu den Konflikten unserer Welt. Konkret verspreche ich mir von dieser Absichtserklärung ein Zusammenwachsen der Kirchgemeinden und Kirchen auf europäischer Ebene. Und – das ist der Grund, dass ich heute da bin – die katholische Kirche setzt mit dieser Absichtserklärung ein starkes Zeichen, dass sie sich auf diesen Prozess einlassen will. Die gemeinsame Erklärung ist ein wichtiger Schritt, das Gemeinsame zu betonen und nicht das Trennende wie in der Vergangenheit. Natürlich ist der ganze Dialog noch sehr unsicher.
Das Gespräch zwischen den Evangelischen und dem Vatikan versteht sich auch als Beitrag zum Friedensprozess in Europa. Was können die Kirchen dazu beitragen?
Die fünf Aspekte, die GEKE-Präsident Gottfried Locher in seiner Predigt erwähnt hat: Hinsehen, nicht wegsehen, streiten, aber fair bleiben, selbstkritisch bleiben, sich an Christus orientieren und den Frieden in Gerechtigkeit suchen. Das zeichnet den friedlichen Dialog aus, bei dem es um die Sache geht. Ohne gegenseitigen Respekt und den Geist des Kompromisses funktioniert es nicht. Das gilt auch für die Arbeit des Bundesrates.
Oftmals zielt man heute bei Auseinandersetzungen auf einzelne Persönlichkeiten und bestimmte Gruppierungen.
Leider leben wir in einer Zeit, in der die Auseinandersetzung auf Personen, Gruppierungen und Gesichter zielt. Das ist nicht konstruktiv. Man sollte sich für die Sache engagieren und darlegen, warum man welche Konflikte lösen will. Das ist unsere Aufgabe und entspricht unserer Realität. Alles andere ist Spektakel.
Als Aussenministier beschäftigen Sie sich mit den weltweiten Konflikten. Wo kann da die Kirche den Friedenprozess stärken?
Überall. In jedem Land spielt die Spiritualität eine wesentliche Rolle. Unser Leben hätte ohne Geist und Spiritualität keinen Sinn. Ich bin überzeugt, dass auf der Erde Milliarden Menschen die Spiritualität pflegen. Die Kirchen sind das Instrument, das es ihnen ermöglicht, sich damit auseinanderzusetzen und sich mit gewissen Eckwerten wie Frieden, Respekt und Versöhnung zu identifizieren. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Lösung der weltweiten Konflikte.
Karin Müller, Tilmann Zuber, kirchenbote-online, 17. September 2018
Europas Protestanten und der Vatikan suchen den Dialog