Feierlich über die Schwelle

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01.07.2019
Gottesdienste, Partys, Zeremonien, Mutproben, Urkunden: So werden Jugendliche als vollwertige Mitglieder ihrer Gemeinschaft aufgenommen, zumindest symbolisch. Für die einen ein angenehmer Tag der Bescherung oder eine Pflichtübung, für andere eine Möglichkeit, zu brillieren, ein tiefes Bekenntnis – oder gar eine Tortur.

Wenn Jugendliche erwachsen werden, ist das eine entscheidende, kritische Zeit. Gemeinschaften versuchen seit jeher, diese und andere Phasen der Veränderungen im Leben eines Menschen zu sichern. Übergangsrituale sollen sicherstellen, dass alle ihren Platz finden – und damit auch die Gemeinschaft erhalten. Gerade in Religionen spielen diese Rituale eine wichtige Rolle, so bei uns die Firmung und die Konfirmation.

«Gerade in Religionen spielen Übergangsrituale eine wichtige Rolle.»

Bar Mizwa
Im Judentum wird ein Knabe mit 13 Jahren «Bar Mizwa», ein Sohn der Pflicht. Nun ist er aus religiöser Sicht verantwortlich für seine Taten und die Einhaltung der Gebote, nicht mehr der Vater. Bar Mizwa bezeichnet auch den Festtag, der nach dem Geburtstag in der Synagoge beginnt. Die Jungen tragen nach intensiver Vorbereitung hebräische Texte aus der Thora vor – eine Herausforderung, vor allem für die vielen Juden mit einer anderen Muttersprache. Manche übersetzen die Texte im Anschluss oder legen sie sogar aus. Auf den Gottesdienst folgt häufig ein grosses Fest mit Essen, Musik und Tanz; diese Tradition der Bar Mizwa entstand im Mittelalter. Im 19. Jahrhundert wurde auch für zwölfjährige Mädchen eine kleinere Zeremonie («Bat Mizwa», Tochter der Pflicht) begründet. Liberale jüdische Gemeinden feiern das Ritual heute für beide Geschlechter gleich.

Dastar Bandi und Upanayana
Der Hinduismus kennt seit rund 3000 Jahren das Upanayana («die Heranführung»), eine zweite, spirituelle Geburt. Anfangs verliess mitdiesem Ritual der junge Mensch das Elternhaus, um durch einen Guru in das religiöse Wissen eingeführt zu werden. Heute wird dies symbolisch vor allem in höheren Kasten bei jungen Knaben oder vor der Hochzeit nach- vollzogen. Die ebenfalls auf dem indischen Subkontinent entstandene Religion der Sikhs verlangt, das Haar ungeschnitten unter dem «dastar» zu tragen. Diesen Turban sieht man bei Männern wie vermehrt auch Frauen, er ist essentieller Teil der Sikh-Identität. Jungen Teenagern wird er oft in einer Zeremonie, dem Dastar Bandi, erstmals umgebunden. Von da an tragen sie ein lebenslang sichtbares Bekenntnis ihrer Hingabe zum Glauben und ein Zeichen ihrer Würde. Ausserhalb des indischen Ursprungs werden die Sikhs deswegen manchmal für islamische Fundamentalisten gehalten und angefeindet. 

Rumspringa vor der Taufe

Es ist kein Geheimnis, dass die religiöse Dimension der Konfirmation viele Feiernde und deren Familien wenig interessiert. Auch in Übergangsritualen anderer Glaubensgemeinschaften mag Tradition oder der Wille der Eltern stärker sein als das persönliche Bekenntnis der teilweise sehr jungen Menschen.Eine eigene Entscheidung der Teenager wird dagegen bei den Amischen erwartet. Diese Nachfahren einer Schweizer Täuferbewegung leben in den USA ländlich isoliert: Eigene Sprache, strenge Ordnung, weder Auto noch Radio, kein Stromanschluss, kein Internet. Viele Gemeinden tolerieren aber, dass ihre Jugendlichen ab 16 Jahren über die Stränge schlagen. Diese Zeit des Erwachsenwerdens wird «Rumspringa» genannt. Manche Teenies tragen nun moderne Kleider, konsumieren Drogen, fahren Auto oder verlassen sogar für einige Zeit ihre Familien und leben in der Aussenwelt. Nach dieser Experimentierphase entscheiden sich doch fast 90% für die Taufe. Wer sich nicht bekennen will, muss den Halt von Familie und Gemeinschaft verlassen.

Jugendweihe
Mit schweren Konsequenzen hatten in der DDR 14-Jährige zu rechnen, wenn sie sich nicht in einer Jugendweihe zum Sozialismus bekannten: Es drohten schlechte Lehrstellen und Studienverbote. Mit der Jugendweihe kaperte das Regime für seine Zwecke ein in Deutschland schon ab 1852 gefeiertes Ritual: Freireligiöse Gemeinden, Freidenker und Arbeiterbewegungen lehnten damals die amtskirchliche Konfirmation ab; sie verlangten von den Jugendlichen sogar den Austritt aus den Landeskirchen. Aber auch diese Gruppierungen wollten nicht auf ein Ritual verzichten, um zum Abschluss des ethischen Unterrichts die Jugendlichen in ihre Wertegemeinschaft aufzunehmen. Das menschliche Grundbedürfnis nach Übergangsritualen erklärt vielleicht, warum sich auch nach der Wende von 1989 immer noch viele Teenager anmelden. Die Jugendweihen werden jetzt von speziellen Vereinen angeboten, die natürlich nicht mehr sozialistische Werte eintrichtern wollen. Stattdessen können die Jugendlichen vorab an sozialen Projekten, Knigge- und Nothilfekursen, Exkursionen etc. teilnehmen. Beim Festakt halten PolitikerInnen und Prominente aus Kultur und Sport eine Rede, eine Urkunde wird überreicht. Ähnliche Feiern entstanden in den skandinavischen Ländern. 

«Übergangsrituale dienen auch der Stärkung kultureller Wurzeln.»

Seijin no Hi
Reden gehalten werden auch in Japan: Die Feier der Volljährigkeit am Ende des 20. Lebensjahres ist ein staatlicher Feiertag, der «Seijin no Hi». Die jungen Frauen erscheinen inKimonos, die Männer tragen meist schwarze Anzüge. Ab jetzt sind ihnen offiziell Alkoholkonsum, Rauchen und Glücksspiel nicht mehr verwehrt. Nach der offiziellen Zeremonie feiern die Jungen unter sich. Sinkende Teilnahmezahlen führt man unter anderem auf das Lebensgefühl der heutigen JapanerInnen zurück: Fast alle Zwanzigjährigen sind noch von ihren Eltern abhängig, drei Viertel fühlen sich nicht erwachsen. 

Quinceañera
Als wichtigster Schritt der Mädchen ins Erwachsenenleben wird dagegen in Lateinamerika der 15. Geburtstag empfunden. Die Quinceañeras werden mit aufwendiger Garderobe, viel Musik und Tanz gefeiert; ärmere Familien geben bis zu einem ganzen Jahresgehalt aus. Dem Fest liegen vermutlich nicht nur spanische, sondern auch aztekische Bräuche zugrunde. Dass Übergangsrituale auch der Stärkung der eigenen kulturellen Wurzeln dienen, beweist die Bedeutung der Quinceañeras für Latinofamilien in den USA.

Na‘ii‘ees
Das (gefährdete) kulturelle Erbe pflegt auch die Sonnenaufgangs-Zeremonie («Na’ii’ees») der Apachen in den US-Staaten Arizona und New Mexico. Im Zentrum steht das Mädchen kurz nach seiner ersten Periode. In einer Vielzahl von Riten verkörpert sie die mythische Urahnin der Apachen. Allerdings nur, wenn sich eine Familie die hohen Ausgaben für die viertägige Zeremonie (inklusive Tänzer, Ritualbegleiterinnen, Musiker und Verpflegung der vielen Gäste) leisten kann und sich mit dieser Tradition überhaupt noch identifiziert. Die Mädchen selbst müssen sich intensiv vorbereiten, auch physisch, da ihnen mit Fasten, Rennen, Nachtwachen und diversen Tänzen einiges abgefordert wird. Viele empfinden das Ritual aber als Stärkung ihres Selbstwertgefühls als Frau und Apachin.

Rindersprung und Ameisengift
Körperlich herausgefordert sind in diversen Kulturen auch Jungen, die in die Gemeinschaft der erwachsenen Männer aufgenommen werden sollen. Der Übergang ist nicht garantiert, sondern eine Bewährungs- und Mutprobe. So springen die jungen Männer der Hamar in Äthiopien nackt über die Rücken mehrerer aneinandergereihter Rinder. Wer Erfolg hat, darf heiraten, wer scheitert, beschämt die ganze Familie. Im Amazonas sind die 13-Jährigen des Sateré-Mawé-Stammes aufgefordert, mehrere Minuten lang Handschuhe zu tragen. In diese sind giftige Riesenameisen eingeflochten, zuvor betäubt und nun hoch aggressiv. Um in Führungspositionen ihres Stammes aufsteigen zu können, müssen die Jugendlichen die sehr schmerzhafte Tortur samt Lähmungserscheinungen über längere Zeit mehrfach über sich ergehen lassen.

Konfirmation – ein Auslaufmodell?
Bei uns führen Konfirmation und Firmung die Jugendlichen kaum an ihre Schmerzgrenzen. Nicht nur deshalb werden diese Feste selbst bei Jugendlichen und in Familien mit zunehmender Distanz zur Landeskirche beliebt bleiben. Denn Menschen feiern nicht nur gerne und suchen Gemeinschaft – sie werden auch in Zukunft nicht auf Übergangsrituale verzichten in Zeiten der Veränderung. 

 

Text: Philipp Kamm | Foto: Rorschacher Konfirmationsklasse  – Kirchenbote SG, Juli-August 2019

 

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