AHV-Abstimmung am 3. März

«Frauen sind überproportional auf eine existenzsichernde AHV angewiesen»

von Nicole Noelle
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21.02.2024
Die Evangelischen Frauen Schweiz engagieren sich für die Initiative zur 13. AHV-Rente, über die am 3. März abgestimmt wird. Im Interview erklärt die Präsidentin Gabriela Allemann, warum die AHV eine Frauenfrage ist, was Udo Jürgens damit zu tun hat und warum sie die Gegenkampagne zynisch findet.

Bei den Diskussionen rund um die AHV-Abstimmungen kommen mir zwei Lieder in den Sinn: ABBAs «Money, money, money, must be funny in the rich man's world» und der Karnevalsschwank «Wer soll das bezahlen?» Welches Lied fÀllt Ihnen zur AHV ein, Frau Allemann?

Gabriela Allemann: «Mit 66 Jahren, da fĂ€ngt das Leben an» von Udo JĂŒrgens. Es zeigt schön, dass Mitte 60 noch einmal ein ganz wichtiger Lebensabschnitt beginnt. Es muss nicht unbedingt Lederhose und Motorradkluft sein, wie im Lied beschrieben, aber es ist wichtig, dass dieser Lebensabschnitt wĂŒrdevoll, gut und auch glĂŒcklich gelebt werden kann. Spannend finde ich, dass Udo JĂŒrgens das Lied mit Mitte 40 geschrieben hat und nicht erst mit 66.

In dem Lied von Udo JĂŒrgens beginnt das Leben mit 66. Wie lange arbeiten Sie noch? Bis 65, bis 67 oder bis 70?

Das weiss ich noch nicht. Mit der AHV 21, der letzten AHV-Abstimmung, haben wir ja schon einer Flexibilisierung zugestimmt, dass man lĂ€nger erwerbstĂ€tig sein kann. Ich bin Pfarrerin, wenn ich sehe, wie sehr Pfarrerinnen und Pfarrer momentan gesucht werden, dann kann ich mir vorstellen, noch ein bisschen lĂ€nger zu arbeiten als bis 65. Wichtig ist mir, dass es freiwillig geschieht, weil man seinen Beruf gerne ausĂŒbt, und nicht aus finanziellen GrĂŒnden.

Die AHV ist die einzige der drei Säulen der Altersvorsorge, in der Betreuungsaufgaben wie die Erziehung der Kinder angerechnet werden.

Sie sind PrĂ€sidentin der Evangelischen Frauen der Schweiz EFS und in dieser Funktion Mitglied des Initiativkomitees fĂŒr die 13. AHV-Rente. Was hat den Dachverband bewogen, im Initiativkomitee mitzuarbeiten?

Die EFS stehen traditionell auf der Seite der Frauen, die wenig verdienen. Es ist historisch, dass sich die EFS fĂŒr Frauen einsetzen, die gerade auch in der Kirche als SekretĂ€rinnen, als Organistinnen, als Katechetinnen oft in kleinen Pensen arbeiten und dadurch schlecht oder gar nicht in der Pensionskasse versichert sind. Diese Frauen sind stark auf die AHV angewiesen, die AHV ist die einzige der drei SĂ€ulen der Altersvorsorge, in der Betreuungsaufgaben wie die Erziehung der Kinder angerechnet werden. Deshalb ist die AHV von den drei SĂ€ulen die unterstĂŒtzenswerteste – um die tiefen Einkommen von den steigenden Ausgaben zu entlasten. Es ist ein Verfassungsauftrag an die AHV, dass sie existenzsichernd sein sollte. Das war sie nie, aber mit der 13. AHV-Rente kommen wir dem zumindest etwas nĂ€her.

Hat das politische Engagement fĂŒr die 13. AHV-Initiative den Evangelischen Frauen Kritik eingebracht?

Nein, wir haben keine RĂŒckmeldungen erhalten. Das hat auch damit zu tun, dass wir uns eigentlich immer politisch Ă€ussern, wenn es Frauen betrifft. Das gehört zu unserer DNA, zu unserem Auftrag seit der GrĂŒndung 1947.

Das heisst auch, dass sich die Mitglieder der Evangelischen Frauen der Schweiz einig waren, sich fĂŒr die Initiative einzusetzen?

Im Vorstand war das klar und es gab keine RĂŒckmeldungen aus dem Verband. Im Gegenteil: Als wir uns vor zwei Jahren bei der der AHV 21, fĂŒr die Stimmfreigabe ausgesprochen haben, gab es verschiedentlich RĂŒckmeldungen, dass sich die Verbandsmitglieder eine klare Positionierung gewĂŒnscht hĂ€tten. Die Altersvorsorge war fĂŒr uns schon immer ein wichtiges Thema, denn Altersarmut ist, auch in der Schweiz, weiblich.

 

Am 3. MĂ€rz wird ĂŒber die Initiative 13. AHV-Rente «FĂŒr ein besseres Leben im Alter» abgestimmt. Die Initiative sieht vor, dass Rentner:innen spĂ€testens ab 2026 eine 13. Monatsrente aus der 1. SĂ€ule, der AHV, ausbezahlt wird. Vergleichbar mit dem 13. Monatslohn, den Arbeitnehmende erhalten. Die 13. AHV-Rente darf gemĂ€ss der Initiative keinen Einfluss auf den Anspruch auf ErgĂ€nzungsleistungen haben.

 

Ist die Frage einer ausreichenden Grundsicherung durch die AHV auch eine Frauenfrage?

Ja, denn Frauen sind ĂŒberdurchschnittlich von Altersarmut betroffen. Eine Frauenrente ist im Durchschnitt ein Drittel tiefer als eine MĂ€nnerrente. Über alle drei VorsorgesĂ€ulen hinweg, AHV, Pensionskasse und 3. SĂ€ule, hat eine Frau im Schnitt knapp 2900 Franken zur VerfĂŒgung, ein Mann 4400. Dabei sind die AHV-Renten zwischen Mann und Frau fast gleich hoch, weil sie eben die Betreuungsaufgaben anrechnen. Deshalb wĂŒrden die Frauen mit einer 13. AHV-Rente auch ĂŒberproportional gestĂ€rkt, weil sie ĂŒberproportional angewiesen sind auf eine existenzsichernde AHV.

KĂŒrzlich wurde darĂŒber abgestimmt, dass die Frauen lĂ€nger arbeiten mĂŒssen, jetzt wollen die Gegner deren bessere Grundsicherung in der AHV verhindern. Sind die Frauen die grossen Verliererinnen der AHV-Abstimmungen?

Das könnte man so sehen. Die AHV 21 wurde 2021 von den Frauen abgelehnt. Die Flexibilisierung, die darin enthalten war, ist gut und wichtig, aber die Erhöhung des Rentenalters bei den Frauen bedeutet, dass man jetzt ihre Renten erhöht – das war auch breiter Konsens rund um die Abstimmung vor etwas mehr als einem Jahr. Mit der 13. AHV-Rente ist das möglich.

In letzter Zeit konnte man verschiedene Interviews mit Rentnern lesen, die erklÀren, sie brÀuchten die 13. AHV-Rente gar nicht.

Ich bin erstaunt, wie viel Geld in solche Interviews und in die Gegenkampagne investiert wird. Ich finde es sehr schwierig zu sagen, wie es den Rentnerinnen und Rentner in der Schweiz wirklich geht. Sicher gibt es einige, die keine finanziellen Probleme haben. Doch ungefĂ€hr 13 Prozent, beziehen ErgĂ€nzungsleistungen, ihre Renten reichen ihnen einfach nicht. Und dann gibt es gemĂ€ss Pro Senectute noch einmal 230‘000 Personen, die Anspruch auf ErgĂ€nzungsleistungen hĂ€tten und sie nicht beziehen. Aus Scham, Unkenntnis, mangelnder Sprachkenntnis oder Angst vor dem Gang aufs Sozialamt. Auch hiervon sind Frauen doppelt so hĂ€ufig betroffen wie MĂ€nner.

92 Prozent aller Menschen beziehen mehr aus der AHV, als sie einzahlen, nur 8 Prozent zahlen mehr ein.

Die Gegner der Vorlage argumentieren, dass viele Personen von einer 13. AHV-Rente profitieren wĂŒrden, die es gar nicht nötig hĂ€tten. Sie sprechen von einem Giesskannenprinzip.

Giesskanne finde ich ein falsches Bild, die AHV ist ein SolidaritÀtswerk. Sie lebt davon, dass alle einzahlen und alle ab 65 Jahren ihre AHV erhalten. Die AHV wird viel stÀrker von den Gutverdienenden alimentiert, die ein hohes Einkommen haben. Und jemand, der eine Million verdient und viel mehr einbezahlt hat, bekommt nicht mehr als den Höchstbetrag von 2450 Franken. Das ist das Prinzip der AHV. Viele Wohlhabende brÀuchten ihre AHV-Rente nicht, trotzdem kÀme niemand mit dem Argument der Giesskanne auf die Idee, ihnen diese zu streichen. Das ist richtig so.

Gibt es Zahlen darĂŒber, wie viele tatsĂ€chlich «zu viel» profitieren?

Nein, das gibt es nicht. Aber es gibt Zahlen, die zeigen, dass 92 Prozent aller Menschen mehr aus der AHV beziehen, als sie einzahlen, nur 8 Prozent zahlen mehr ein. Man geht davon aus, dass die 13. AHV-Rente den Kaufkraftverlust der letzten Jahre ausgleichen kann. Die rund 3500 Franken, die ein Ehepaar aus der AHV erhĂ€lt, federn in etwa die Teuerung und die steigenden Kosten fĂŒr Krankenkasse, Strom, Heizung und Lebensmittel ab. Insofern wĂ€re damit schon vielen gedient.

Warum nicht auf die ErgÀnzungsleistungen setzen, die Rentnerinnen und Rentner bereits heute beantragen können?

Das Argument der ErgĂ€nzungsleistungen EL kommt von bĂŒrgerlicher Seite. Es sind dieselben, die gerade im Parlament durchgesetzt haben, dass die Leistungen massiv gekĂŒrzt wurden und weniger Menschen EL beantragen können. Das finde ich wirklich zynisch. Zudem: Die ErgĂ€nzungsleistungen laufen nicht ĂŒber den Bund, sondern ĂŒber die Kantone oder Gemeinden und das ist mit einem wesentlich höheren administrativen Aufwand verbunden. Und nicht zu vergessen: um ErgĂ€nzungsleistungen muss man sich bemĂŒhen, die HĂŒrden liegen sehr hoch – es ist mittlerweile breit anerkannt, dass es hier grosse Zugangsprobleme gibt.

 

Das 3-Säulen-System der schweizerischen Altersvorsorge

Die 1. SĂ€ule, die staatliche Vorsorge (u.a. AHV), soll ein Mindesteinkommen im Alter sichern. Besser Verdienende mit höheren BeitrĂ€gen unterstĂŒtzen weniger gut Verdienende.

Die 2. SĂ€ule, die berufliche Vorsorge (Pensionskasse), ergĂ€nzt die AHV-Rente fĂŒr einen angemessenen Lebensstandard. Diese Rente wird durch möglichst lĂŒckenlose LohnabzĂŒge in ausreichender Höhe bestimmt.

3. SÀule: Die private Vorsorge funktioniert nach dem Prinzip einer Sparkasse. Was zusÀtzlich privat noch eingezahlt werden kann, kommt im Alter verzinst wieder heraus.

 

Apropos Zahlen: Wie soll man die 13. AHV-Rente finanzieren?

In den nĂ€chsten Jahren ist es noch kein Problem, die AHV wird MilliardenĂŒberschĂŒsse machen und ihre Reserven von knapp 50 auf fast 70 Milliarden steigern bis 2030. Man spricht von zusĂ€tzlich 4–5 Milliarden, die es braucht, um eine 13. AHV-Rente gut abdecken zu können. Das klingt nach viel, ist in RealitĂ€t aber einzig eine leichte Erhöhung der Lohnprozente um 0,4 Prozent auf der Seite der Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden. Das wĂ€ren bei einem Durchschnittslohn rund 24 Franken pro Monat. DafĂŒr gibt’s dann fast 200 Franken mehr Rente pro Monat.

Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer finde ich und eigentlich alle, die die Initiative lanciert haben, schwierig, weil sie mit BeitrĂ€gen auf GĂŒtern des tĂ€glichen Bedarfs wiederum die Leute mit tiefen Einkommen trifft.

Es gibt auch «kreative» AnsĂ€tze wie Steuern auf Mikrotransaktionen. Oder man könnte auch ĂŒber eine leichte Erhöhung der BundesbeitrĂ€ge diskutieren. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass das Geld da ist, wenn es gebraucht wird: Covid, Bankenkrisen oder AufrĂŒstung der Armee. Ich meine, das System der Altersvorsorge ist etwas sehr Zentrales in unserem Land, das es ebenfalls wert wĂ€re, dass Geld hineinfliesst.

Die zweite Vorlage, die Initiative der Jungfreisinnigen zur Erhöhung des Rentenalters, lehnen die Evangelischen Frauen der Schweiz hingegen ab. Ist das nicht die bessere Lösung? Schliesslich werden die Menschen immer Àlter.

Nein, das ist aus unserer Sicht keine Frage. Die Situation fĂŒr Arbeitnehmende ĂŒber 55 Jahre ist nach wie vor angespannt. Es gibt nicht genĂŒgend ArbeitsplĂ€tze fĂŒr diese Altersgruppe, gerade fĂŒr Frauen. Viele Frauen ĂŒber 55 wĂŒrden auch gerne mehr Erwerbsarbeit leisten, sie finden aber keine Stellen mit grösseren Pensen. Deshalb finde ich es illusorisch zu sagen, wir mĂŒssen bis 67 arbeiten. Das ist auch nicht sehr solidarisch, denn dann könnten nur die frĂŒher aufhören, die es sich finanziell leisten können. Und wie sieht es mit jenen aus, die körperlich schwer arbeiten mĂŒssen, etwa auf dem Bau oder in der Pflege? Da fehlt mir das Vertrauen, dass es gute Lösungen geben wird, vor allem wieder fĂŒr die Frauen in den Niedriglohnsektoren.

Altersarmut ist auch ein wirtschaftlicher Faktor. Den Menschen, die in Armut leben, geht es schlechter, die Gesundheitskosten steigen.

Die Alterssicherung wird oft als Generationenvertrag bezeichnet. Leben die Seniorinnen und Senioren heute auf Kosten der nÀchsten Generation?

Ich halte diese Diskursverschiebung fĂŒr gefĂ€hrlich. Sie hat das Potenzial, den Generationenvertrag zu beschĂ€digen. Es ist die Idee und die Konstruktion der AHV, dass diejenigen, die heute im Erwerbsleben stehen, mit ihren LohnbeitrĂ€gen das Leben der Seniorinnen und Senioren finanzieren, die eben frĂŒher selber im Erwerbsleben standen. Das ist ein StĂŒck Schweizer SolidaritĂ€t, die funktioniert und trĂ€gt. Es ist deshalb verkĂŒrzt zu sagen, die leben auf unsere Kosten. Meine Tochter hat neulich zu mir gesagt: «Ich habe nichts dagegen, wenn ich fĂŒr meine Grosseltern etwas mehr zahle.» Ich glaube, das ist ein Impuls, den viele junge Leute teilen: Ja, diese BeitrĂ€ge sind wichtig, das sind unsere Grosseltern oder die Menschen, die durch ihr Arbeitsleben zu unserem Wohlstand beigetragen haben. Hinzu kommt, dass Altersarmut auch ein wirtschaftlicher Faktor ist. Den Menschen, die in Armut leben, geht es schlechter, die Gesundheitskosten steigen. Wir haben ein Interesse daran, dass Ă€ltere Menschen nicht in Armut leben.

Trotzdem haben viele Junge das GefĂŒhl, dass sie im Alter sowieso nichts bekommen. Frau Allemann, glauben Sie, dass Ihre Kinder noch von der AHV profitieren können?

Ich hoffe sehr und bin auch ĂŒberzeugt, dass wir die AHV weiter stĂ€rken können: Als SolidaritĂ€tswerk, als stabilen Generationenvertrag, damit auch unsere Nachkommen noch eine AHV beziehen können.

 

Gabriela Allemann

Die Theologin Gabriela Allemann (45) ist seit Sommer 2019 PrĂ€sidentin der Evangelischen Frauen Schweiz und in dieser Funktion im Komitee der Volksinitiative fĂŒr eine 13. AHV-Rente «fĂŒr ein besseres Leben im Alter». Zuvor war Gabriela Allemann zehn Jahre Pfarrerin in der reformierten Kirchgemeinde MĂŒnsingen im Kanton Bern. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Olten im Kanton Solothurn.

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