Freiwillige: Einsatz am Limit
Früher Morgen, gleissende Sonne, ein Strand am griechischen Mittelmeer, ein mit erschöpften Männern, Frauen und Kindern überfülltes Boot, Rufe, Weinen, Helfer, die Hand bieten, damit alle sicher an Land kommen – so beginnt der Film «Volunteer» von Anna Thommen und Lorenz Nufer. Er begleitet Freiwillige aus der Schweiz bei ihrem Einsatz in Griechenland, als die Flüchtlingskrise 2015 und 2016 ihren Höhepunkt erreicht. In Idomeni an der Grenze nach Mazedonien sitzen 14 000 Menschen fest. Die Szenerien an den Stränden und in den Lagern wirken chaotisch und apokalyptisch.
Die einzigen Helfer vor Ort
Die Freiwilligen sind die Einzigen, die sich um die Gestrandeten kümmern: Das Paar Sarah und Thomas Hirschi, das auf seinem Hof in den Bergen Vieh züchtet, Michael Räber, Hauptmann in der Armee, der mit seiner Frau das Hilfswerk «Schwizerchrüz» gründete, die 74-jährige Ileana Heer, die in ihrem grossen Haus ein wohlsituiertes Leben führt, und der Entertainer Michael «Grosi» Grossenbacher. Was hat sie dazu bewogen, das bequeme Leben hinter sich zu lassen und sich unter widrigsten Umständen für wildfremde Menschen einzusetzen? Die Beteiligten erzählen von ihren Erfahrungen, von Freud und Leid, und wie der humanitäre Einsatz ihr Leben verändert hat.
Vergessenes Flüchtlingselend
Der Film hätte anfangs Jahr in den Kinos starten sollen. Da kam das Coronavirus. Doch schon davor waren die Flüchtlinge in Griechenland, etwa im überfüllten Lager Moria auf Lesbos, aus den Nachrichten weitgehend verschwunden. «Niemand nimmt die Schicksale der Geflüchteten mehr wahr», sagt Anna Thommen. Es ist für sie «extrem wichtig», dass der Film jetzt gezeigt wird, und sie hofft, dass er trotz Corona ein grosses Publikum anzieht. «Im besten Fall verschiebt er die Perspektive», meint sie. «Vielleicht kann man die Verletzlichkeit dieser Menschen besser verstehen, wenn man selber eine Krise erlebt.» «Es wäre eine Chance, sich besser in das Elend von anderen hineinversetzen zu können», ergänzt Lorenz Nufer.
Auf sich allein gestellt
Schockierend finden es Anna Thommen und Lorenz Nufer, dass die Demokratien Europas dabei versagt haben, die Kriegsflüchtlinge aus Syrien zu schützen. Die Volunteers waren auf einen zeitlich begrenzten Einsatz vorbereitet, solange, bis die von dem Ansturm überforderte Bürokratie die Aufgabe übernimmt. Doch dies sei nie geschehen, so Anna Thommen: «In den Lagern müssen die Menschen unter unwürdigsten Bedingungen leben und Europa schaut zu. Die Volunteers werden allein gelassen. Das ist nicht in Ordnung.» Niemand könne diese Verantwortung tragen, zu wissen, dass man die Flüchtenden im Stich lässt, wenn man nach Hause geht.
Die Komfortzone verlassen
«Volunteer» gibt den Freiwilligen eine Plattform. «Sie verlassen ihre Komfortzone. Es ist wichtig ihnen zuzuhören, sie erzählen andere Geschichten als die Medien und die Politik», betont Anna Thommen. Man müsse ihnen glauben, weil ihr Engagement auf Menschlichkeit beruhe. «Als Bürgerin und Bürger dieses Landes kann man sich mit diesen Helfern identifizieren.»
In der Tat: «Volunteer» zeigt Freiwillige, die nicht in Klischees passen. Sie sind weder Linke noch «Gutmenschen». Ob junger Bauer und SVP-Wähler aus dem idyllischen Simmental oder reiche Rentnerin mit Villa am See, sie führen in der Schweiz ein unauffälliges, ruhiges Leben und haben nicht viel gemeinsam, ausser dass ihnen die Flüchtlinge nicht egal sind und sie beschlossen haben, sich vor Ort für sie einzusetzen.
«Diese Leute brauchen eine Lobby und finanzielle, politische und moralische Unterstützung», sagt Anna Thommen. «Dazu kann jeder etwas beitragen.» Die beiden Filmemacher hoffen, dass «Volunteer» die Zuschauer aufrüttelt.
Karin Müller, kirchenbote-online
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