Friedenspädagogik

Frieden lernen und einüben

von Heinz Mauch-Züger
min
24.01.2024
Dass Frieden weit mehr ist als die Abwesenheit von Krieg, ist eigentlich eine Binsenweisheit. Unfrieden beginnt lange vor dem Einsatz von physischer Gewalt durch Schläge und Granaten.

Wenn Menschen unter Druck, Zwang, Demütigung und Missbrauch aufwachsen und leben müssen, entstehen Verletzungen, die den Spielraum zur Friedensfähigkeit einschränken. Wie viel Druck und Zwang braucht es? Wer Kinder aufgezogen hat oder aufzieht, kennt diese Situationen, wo hie und da die physische Überlegenheit als Vater oder Mutter eingesetzt werden muss, damit man das Postauto erreicht oder man den abgemachten Termin ohne grössere Verspätung wahrnehmen kann. Spätestens im Zusammenleben mit Kindern lernen Erwachsene, dass Konflikte offensichtlich dazugehören und dass der Umgang mit ihnen einer der Schlüssel ist, damit Frieden bestehen bleibt.

 

Keine Sieger – keine Verlierer

In den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts tauchten unter der Bezeichnung «New Games» Spielformen auf, wo es weder Gewinner noch Verlierer gab. Diese Spielformen waren Ausdruck der sogenannten «Friedenserziehung» deren Wurzeln zurückreichen in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, wo sich eine internationale Friedensbewegung zu formieren begann.

Konsens ist, dass Frieden kein Zustand, sondern ein Prozess ist.

Friedensbewegungen

Im Zentrum der Bemühungen stand, ganz im Geiste der Aufklärung, die Befähigung zu friedfertigem Verhalten durch den Einsatz von Bildung und Vernunft. Ein Pionier dieser Entwicklung war der Schweizer Jean-Jacques de Sellon (1782-1836). Neben der religiösen Prägung durch den Calvinismus war er Anhänger der Demokratie-Idee von Jean-Jacques Rousseau. Er forcierte die Idee des Rechtstaates und die Vorstellung vom Menschenrecht der körperlichen Unversehrtheit. Er lehnte die Todesstrafe ab. Sellon übertrug diese Vorstellungen auch auf zwischenstaatliche Konflikte und forderte die Abschaffung von stehenden Heeren und deren Ersatz durch Milizen. Unter dem Begriff «Pazifismus», der Mitte des 19. Jahrhunderts auftauchte und sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts dann offiziell etablierte, fand sich eine Fülle von politischen, kulturellen und philosophischen Strömungen. Einheitlichkeit wurde je nach gesellschaftlicher Entwicklung meist nur kurzzeitig erreicht. Selbst die beiden Weltkriege im vergangenen Jahrhundert führten nicht zu einer einflussreichen politischen Dominanz von pazifistischen Weltanschauungen. Allgemeine Anerkennung fanden im europäisch geprägten Westen die Menschenrechte. In der Schweiz wurden pazifistische Ansichten mit der Volksinitiative «Schweiz ohne Armee» in den achtziger Jahren öffentlich breit diskutiert.

Friedenspädagogik

Die Herauslösung des Menschen aus hierarchischen Abhängigkeiten der traditionellen Machtinhaber (Adel, Aristokratie, Kirche) brachte neue Abhängigkeiten als Arbeitnehmende in der aufstrebenden Industrie. Reformbewegungen versuchten mit einem «zurück zur Natur» Auswege aus der neuen Situation zu schaffen. Neuartige Entwicklungen bahnten sich auch im Bereich der Pädagogik ihren Weg. Als Beispiele seien hier die «Montessori-Schule» und die «Steiner-Schule» erwähnt. Im Zentrum stand die Vorstellung vom selbstbestimmten Menschen als konfliktfähiges Wesen. Je nach Ausrichtung wurden diese Erneuerungsprozesse mit spirituellen Elementen aus christlichen, zunehmend jedoch auch aus östlichen Quellen (Buddhismus) vertieft. Bis in die Gegenwart haben sich viele Ansätze erhalten und mit der Diversifizierung der Lernformen auch Eingang in die staatlichen Schulen gefunden.

In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts entwickelten sich Methoden zur «gewaltfreien Kommunikation» (Marshal B. Rosenblum) und verschiedenste Zweige der Friedensforschung an Hochschulen und Universitäten. Konsens ist, dass Frieden kein Zustand, sondern ein Prozess ist, der persönlich wie gesellschaftlich permanent eingeübt werden muss. Demokratische Strukturen bieten dafür die besten Voraussetzungen, sie sind jedoch in keiner Weise selbstverständlich und in jüngster Zeit genauso gefährdet, wie der Frieden selbst.

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