Friedhöfe - Spiegel unserer Gesellschaft

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05.11.2020
Die Auswirkungen unserer immer schnelllebigeren Zeit offenbaren sich dem Besucher der Friedhöfe nicht nur in Form der verschiedensten Arten von Grabstätten, sondern auch durch einen zunehmenden Drang zur Individualisierung des Grabschmuckes. Wie alle Vorschriften auf Gesetzes- und Verordnungsstufe hinken die Vorgaben zur Gestaltung der Grabstätten der aktuellen Entwicklung hinten nach.

Die Auffassung, wie Grabstätten gestaltet werden sollen, hat sich ab Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts das Erscheinungsbild der Friedhöfe stark geändert. Der markant ansteigende Anteil an Urnenbeisetzungen führte in den Friedhöfen aufgrund des kleineren Flächenbedarfs für Reihengräber, Urnenwände und gemeinschaftlichen Grabanlagen zu einem Umdenken in der Friedhofgestaltung. Man konnte es sich erlauben, die Grabfelder freier anzuordnen, tradierte Hierarchien zu durchbrechen und Neues zu wagen.

Parallel dazu entstanden unter dem Titel „im Tode sind alle gleich“ seelsorgerlich begründete Tendenzen zur Vereinheitlichung der Gestaltung der Grabzeichen. Nur in wenigen Friedhöfen fand diese Haltung in den Reglementen ihren Niederschlag. In den Angeboten für gemeinschaftliche Grabstätten hingegen wurde sie in Form von einheitlichen Formaten von Schriftplatten bei Urnenwänden, einheitlicher Beschriftung mit Namen und Daten und einheitlicher Grabbepflanzung umgesetzt. Die im Vergleich zu Zeiten vor dem zweiten Weltkrieg sich rasant ändernden Vorstellungen, was auf dem Friedhof richtig und was falsch sei, führte zu einer Verunsicherung, deren Auswirkungen sich auf den Friedhöfen sattsam manifestieren.

Der letztwillig verfügte Wunsch in einer gemeinschaftlichen Grabanlage beigesetzt zu werden, stösst bei Hinterbliebenen nicht immer auf Verständnis. Sie fühlen sich um die Gelegenheit, ihrer Trauer und ihrer Verbundenheit in angemessener Art und Weise Ausdruck zu verschaffen, betrogen. In der Folge werden eigentlich würdig und schön gestaltete Anlagen durch „Hinterlassenschaften“ aller Art verunklart und streng genommen der Wille der verstorbenen Person missachtet.

Im Gegenzug zeigt sich bei konventionellen Reihengräbern der Trend hin zu einer stärkeren Individualisierung der Gestaltung von Grabzeichen und der Grabfläche. Nur selten finden sich noch sorgfältig gestaltete Grabzeichen mit sich einem nicht unbedingt auf den ersten Blick erschliessenden Symbolen. Vielleicht werden Alternativen auch deshalb gesucht, weil die Regeln auf den Friedhöfen nur noch wenig Akzeptanz finden oder deren Einhaltung ohne Feingefühl durchgesetzt wird. Die Aufbewahrung der Urne zuhause, in einer Gedenkecke, die Ausstreuung der Asche in der Natur oder die Übergabe der Urne an eine Institution, welche Bestattungsorte ausserhalb der kommunalen Friedhöfe anbieten, können als eine Art Friedhofverdrossenheit gewertet werden.

Als Gegenmittel müsste das Bewusstsein gestärkt werden, dass es sich beim Friedhof eigentlich um eine gemeinschaftliche Grabanlage handelt, auf der jeder und jede unter Berücksichtigung des Respekts vor den Bedürfnissen der Nachbarn einen würdigen letzten Ruheplatz oder einen Ort des Gedenkens finden kann. Es ist mit den Friedhöfen ähnlich wie mit unseren Dörfern und Städten. Ein vielfältiges Angebot steht zur Nutzung Verfügung. Am Respekt und an der Kommunikation müsste meines Erachtens noch gearbeitet werden.   Martin Klauser*

 

*Martin Klauser ist Landschaftsarchitekt in Rorschach und berät die Friedhofskommission in Bühler AR.

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