Die Reformation im Appenzellerland

Friedliche Landteilung

von Isabelle Kürsteiner
min
24.01.2024
Die Landteilung im ehemaligen Kanton Appenzell stellt ein herausragendes Beispiel für einen gewaltfreien Prozess dar. Statt einen Glaubenskrieg zu entfachen und Leben zu zerstören, wurden verschiedene Abstimmungen durchgeführt und gerichtliche Entscheide akzeptiert.

Bereits Anfang des 16. Jahrhunderts hatte die Reformation erste Anhänger im Kanton Appenzell, insbesondere in den westlichen und nördlichen Gebieten. Dies waren die äusseren Rhoden. Der damalige Kanton Appenzell konnte sich jedoch nicht auf die Einführung des neuen Glaubens einigen. Dennoch wurde nicht auf Konflikt gesetzt. Mittels Landsgemeinde-Beschluss im Jahre 1525 fand in jeder Kirchhöri, sprich Kirchgemeinde, eine Abstimmung statt. Dabei mussten in der Folge die Unterlegenen die Kirchhöri verlassen oder sich zum neuen Glauben bekennen. Wenige Kirchhöri, so Appenzell, duldeten beide Konfessionen.

Paritätischer Kanton und Gegenreformation

Der durch Abstimmung und nicht durch einen Glaubenskrieg entstandene Kanton hatte Bestand bis zu einer Gegenreformation in der inneren Rhode. Wiederum wurde auf demokratisches Recht gesetzt, denn die äusseren Rhoden stimmten an einer ausserordentlichen Landsgemeinde im Jahr 1597 einer Landteilung zu, die Kirchhöri Appenzell nur ein paar Wochen später. Unter Vermittlung von Schiedsrichtern aus anderen Kantonen kam es im Herbst 1597 zum Landteilungsbrief. Somit waren neu zwei Kantone besiegelt: Das reformierte Appenzell Ausserrhoden und das katholische Appenzell Innerrhoden.

 

Oberegg wurde 1597 eine Exklave von Appenzeller Innerrhoden.

Foto: iks

Zuordnung nach Konfession der Besitzerfamilien

Der Grenzverlauf wurde nach konfessionellen Kriterien bestimmt. Meist fiel die neu entstandene Kantonsgrenze mit der Grenze einer Rhode zusammen, wobei die meisten Rhoden später zu Gemeinden gleichen Namens wurden. Insbesondere in Trogen, Oberegg und Reute wurde die Grenze entsprechend der Konfession der Besitzerfamilien gezogen. Bis ins Jahr 1870 konnte ein Eigentumswechsel gleichzeitig einen Kantonswechsel zur Folge haben, was bedeutete, dass die Kantonsgrenzen immer wieder neu gezogen werden mussten.

 

Bundesversammlung entscheidet

Die Bundesversammlung war es schliesslich, welche ganz Oberegg sowie die beiden Klosterareale von Grimmenstein und Wonnenstein Innerrhoden zuteilte. Den Klosterbesitz ausserhalb der Mauern der Klöster wiesen sie allerdings Appenzell Ausserrhoden zu. Auch diese Entscheide wurden ohne Kriegsgebaren anerkannt.

Vorbild in Sachen Frieden

Natürlich sind die Entscheide, nach den Abstimmungen in den Kirchhöri wegzuziehen oder sich dem neuen Glauben anzuschliessen, wohl nicht ohne Zähneknirschen und intensiven Diskussionen gefallen. Aber die Mehrheit wurde anerkannt. Der Beschluss von allen getragen. Auch das Urteil der Bundesversammlung betreffend Oberegg und den beiden Klöstern wurde anerkannt und gelebt. In Walzenhausen und Oberegg gab es gar ein Bauernhaus, durch welches die Kantonsgrenze zwischen Haus und Stall verläuft. Aber es gab keinen Glaubenskrieg, keine Toten. Aus diesem Grund ist die Landteilung ein sehr gutes Beispiel, wie Konflikte gelöst werden können. Dazu gehört aber die Toleranz beider Seiten, einen unbequemen Entscheid hinzunehmen und das Leben danach entsprechend auszurichten. Also das Beste aus etwas zu machen, was im ersten Moment für Unterlegene nicht gut aussieht. Die beiden Appenzell haben das geschafft. Sie leben seit 150 Jahren vor, dass es möglich ist! 

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