Führt Gott in Versuchung?

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19.01.2018
«Und führe uns nicht in Versuchung», heisst bei Matthäus. «Führt uns Gott in Versuchung?» Dies fragt der Theologe Markus Anker in der biblischen Besinnung.

Die Bibel ist voller Versuchungen. Sie schildert das Verhältnis zwischen Gott und Menschen als eines, das wechselseitige Prüfungen, so die wörtliche Bedeutung von «Versuchung», zu überstehen hat. Menschen prüfen Gottes divine Leistungsfähigkeit. Und Gott prüft die Glaubensfestigkeit der Menschen. Damit wird eine Besonderheit des biblischen Versuchungskonzepts fassbar: Nur Personen, die in einem engen Vertrauensverhältnis zu Gott stehen, werden in ihrem Glauben erprobt. Dass Gott in Versuchung führt, kann als eine Auszeichnung verstanden werden. Deshalb gibt es in der Bibel Bitten um Versuchung, so z. B. in Psalm 26, 3: «Prüfe mich, Herr, und erprobe mich, erforsche mir Nieren und Herz.»

Bitte um Verschonung 
Ein solches Selbstbewusstsein ist dem Beter des Unservaters fern. Er weiss um die Möglichkeit, dass der Glaube an Gott Belastungsproben ausgesetzt werden kann. Doch er sieht in ihnen nicht die Chance, den Glauben zu beweisen wie der Beter von Psalm 26, sondern die Gefahr, das Vertrauensverhältnis zu Gott zu verlieren. Darum bittet er um Verschonung vor einer Erprobung.

Angriffsfläche 
Die Vorstellung, dass Gott Menschen versucht, bietet Angriffsfläche. Menschen deklarieren ihr Versagen als Versuchung und entziehen sich so ihrer Verantwortung, lautet ein Vorwurf. Ein anderer: Die Vorstellung, dass Gott Menschen in negative Situationen führt zum Zweck der Loyalitätsprüfung, ist nicht kompatibel mit dem Bild Gottes als gütigem Bewahrer. Sollte daher das Unservater korrigiert werden?

Eine sinnvolle Bitte
In der Vorstellung der Versuchung kommt die Erfahrung zum Ausdruck, dass der Mensch die Ursache für sein Versagen nicht immer bei sich suchen kann. Es gibt unglückliche Verstrickungen, die zu mächtig sind, als dass sich Menschen von ihnen fernhalten oder sich aus ihnen befreien können. Dass es Gott selbst ist, der in eine solche Konstellation führt, macht die Situation nicht einfacher. Dennoch hat diese Wahrnehmung eine letztendlich tröstliche Dimension: Wird eine schwere Situation als Prüfung verstanden, ist sie nicht ein Moment der Gottverlassenheit, sondern ein Moment, in dem Gott mit seiner ganzen Aufmerksamkeit bei uns ist. Im Film «Out of
Africa» heisst es dazu: «God is happy. He plays with us.»

Es kann sein, dass…
Man kann die Versuchung aus der Bibel streichen. Doch die Erfahrung der Versuchung wird damit nicht aus der Welt geschafft. Und vor diesem Hintergrund hat die Bitte, von der Versuchung verschont zu werden, ihre Berechtigung. Es mag sein, dass Gott prüfen will – aber er muss es nicht tun. Es kann sein, dass es Versuchungen gibt – aber sie sind nicht notwendig. Deshalb ergibt die Bitte um Verschonung vor der Versuchung Sinn. In der Hoffnung, dass Gott unserer Glaubensfestigkeit vertraut, ohne sie einer Prüfung zu unterziehen.

Text: Markus Anker, St. Gallen, Foto: Andreas Schwendener  – Kirchenbote SG, Februar 2018

 

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