Theologiepreis

«Für unsere Träume sind wir teilweise moralisch verantwortlich»

von Carole Bolliger
min
15.11.2024
Die 19-jährige Lina Arnold aus Uri hat mit ihrer Maturaarbeit über die moralische Verantwortung in Träumen den Theologiepreis der Theologischen Fakultät Zürich gewonnen. Im Interview spricht sie über ihre Erkenntnisse und persönliche Überraschungen.

Lina Arnold, was hat Sie dazu inspiriert, das Thema moralische Verantwortung in Träumen für Ihre Maturaarbeit zu wählen?

Ich wollte sicher etwas in Richtung Philosophie machen. Träume faszinieren mich generell und beim Einlesen bin ich über die Frage «Schlechte Träume, schlechte Menschen?» gestolpert. Moral interessiert mich, im Zusammenhang mit Träumen hat es für mich einfach gepasst.

Können Sie kurz die Hauptthesen Ihrer Arbeit zusammenfassen?

Ich habe mich auf drei Gegenargumente gegen moralische Verantwortung in Träumen konzentriert: Erstens, dass Träume keine Folgen für das Leben im Wachzustand haben; zweitens, dass wir Träume nicht kontrollieren können; und drittens, dass wir im Traum nicht dieselbe Person sind wie im echten Leben.

Und konnten Sie diese Argumente bestätigen?

Ich habe meine drei Hauptargumente nicht alle widerlegt, aber alle entkräftet. Meine persönliche These ist, dass wir zumindest teilweise moralisch verantwortlich für unsere Träume sind.

Wenn ich im Traum ein Verbrechen begehe, bin ich also dafür verantwortlich?

Ja und Nein. Niemand darf Sie dafür verhaften und die Handlung hat keine Folgen für andere Personen. Ich argumentiere aber, dass man für die Entscheidung im Traum moralisch verantwortlich ist.

Kann man denn seine Entscheidungen, die man im Traum trifft, steuern?

Ich denke, dass man das Traum-Ich und das Wach-Ich nicht so trennen kann, wie ich das anfangs meiner Arbeit behauptet habe.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse Ihrer Arbeit?

Die Definition von moralischer Verantwortung ist nicht gleichzusetzen mit Verantwortung im Allgemeinen. Meine Schlussfolgerung ist, dass wir doch teilweise verantwortlich sind für unsere Träume.

Was hat Sie am meisten überrascht?

Wie viele Menschen sich für dieses Thema interessieren. Viele haben mir ihre Sichtweise und von ihren Träumen erzählt. Dass ich andere zum Nachdenken bringen konnte, war ein schöner Aspekt.

Welche theologischen Konzepte haben Sie bei Ihrer Untersuchung besonders beeinflusst?

Zu Beginn meiner Recherchen habe ich etwas von Augustinus gelesen. Er hat von Träumen geschrieben und versucht, sich zu rechtfertigen, dass er das ja nicht wirklich gemacht hat. Da habe ich mich gefragt, wenn er sich so sehr dafür rechtfertigt, fühlt er sich vielleicht doch schlecht. Seine Aussagen waren widersprüchlich.

Was waren die grössten Herausforderungen?

Ich hatte schnell einen Gedanken oder ein Argument, aber diese dann in Worte zu fassen, war schwierig und herausfordernd. Es half mir, mit anderen zu diskutieren, um meine eigene Meinung in meinen eigenen Worten zu finden und zu verfassen.

 

Die theologischen Fakultäten der Universitäten Basel, Bern und Zürich verleihen jährlich einen Preis für herausragende Maturaarbeiten in den Bereichen Religion, Ethik und Theologie. Im Jahr 2024 wurden vier Maturandinnen ausgezeichnet. Die prämierten Arbeiten behandeln die Themen «Jenseitsvorstellungen und Todesriten antiker Kulturen», «moralische Verantwortung in Träumen», «Jesus von Nazareth als historische Figur» und «interreligiöse Perspektiven auf ein Leben nach dem Tod». Der Kirchenbote berichtete.

 

Die Fachjury der Theologischen und Religionswissenschaftlichen Fakultät (TRF) der Universität Zürich hat Ihnen für Ihre Arbeit den «Zürcher Theologiepreis» für hervorragende Maturaarbeiten verliehen. Hätten Sie sich das träumen lassen?

Nein, überhaupt nicht. Ich war sehr überrascht und natürlich erfreut und fühle mich auch geehrt.

Was bedeutet Ihnen der Preis?

Er bestätigt mich darin, dass es mich wirklich interessiert und dass ich gar nicht so schlecht darin bin, wissenschaftliche Arbeiten zu schreiben (lacht). Und ich freue mich, dass ich bei anderen Menschen etwas auslösen, sie mit meiner Arbeit zum Nachdenken und Diskutieren bringen konnte.

Sie haben sich Monate lang mit dem Thema Traum auseinandergesetzt. Haben sich Ihre Träume in dieser Zeit verändert?

Ich mache mir sicherlich viel mehr Gedanken über meine Träume als früher. Ich finde es faszinierend, weil wir einen grossen Teil unseres Lebens mit Schlafen verbringen, oft träumen und viele Menschen dem so wenig Beachtung schenken.

Glauben Sie, dass es eine geheime Gruppe von Traum-Polizisten gibt, die darauf achten, ob wir unsere moralischen Pflichten im Schlaf erfüllen?

Ich hoffe es nicht. Ich finde, jeder hat das Recht, seine Träume für sich zu behalten und für sich selbst zu entscheiden, wie viel Bedeutung man seinen Träumen gibt. Niemand anders sollte das tun.

Was ist Ihr grösster Traum?

Dass ich am Ende meines Lebens auf eine schöne, erfüllte Zeit zurückschauen kann.

 

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