Ist eine arme Kirche ein gutes Zeichen?

Glückselig die Bettler

von Hajes Wagner, Pfarrer in Heiden
min
01.02.2025
Grosszügigkeit oder Sparen? Pfarrer Hayes Wagner aus Heiden bevorzugt die Grosszügigkeit. Obwohl er weiss, dass Grosszügigkeit tendenziell arm macht. Aber eine arme Kirche ist ein gutes Zeichen.

Für Jesus ist die Sache klar: «Glückselig ihr Bettler.» (Lk 6,20) «Wehe euch, ihr Reichen!» (Lk 6,24) «Geh los, verkaufe alles, was du hast, und gib das Geld den Armen.» (Mk 10,21)

Was soll also unser kirchlicher Jammer ums fehlende Geld? Als christliche Kirche könnten wir uns doch freuen, wenn uns das Geld ausgeht. Freuen darüber können wir uns natürlich nur dann, wenn wir das Geld im Sinne von Jesus grosszügig aufgebraucht haben: Für die Armen, die Kranken und die Hungrigen; für die ungerecht Behandelten und die Ausgebeuteten; für die Traurigen und die Hoffnungslosen; und die Sünder; und für all diejenigen, die gerne zusammen essen und fröhlich feiern.

An historische Gebäude, Kirchenorgeln und universitär ausgebildete Pfarrpersonen hatte Jesus wohl kaum Gedacht, als er die Bettler glückselig pries. Damit Sie mich recht verstehen: Ich finde das überhaupt nicht schlecht. Ganz im Gegenteil. Aber manchmal ist der Preis dafür zu hoch.

Spätestens, wenn wir darum feilschen müssen, was ein Essen für die Freiwilligen kosten darf, weil uns der Stuck an der Kirchendecke ein Vermögen kostet, läuft etwas falsch.

Wenn eine Gemeinde für über eine halbe Million eine neue Orgel kauft, sollte auch noch ein Hunderttausender drin liegen für etwas Christliches. Zum Beispiel für sozialen Wohnungsbau. Oder für die Jugendarbeit. Oder meinetwegen für eine Initiative, die den Gemüse-Import verbietet, wenn Sklavenarbeit dahintersteckt. Aber spätestens, wenn wir darum feilschen müssen, was ein Essen für die Freiwilligen kosten darf, weil uns der Stuck an der Kirchendecke ein Vermögen kostet, läuft etwas falsch.

Noch sind wir als Evangelisch-reformierte Kirche eine öffentlich-rechtliche Institution. Das wird sich wohl in Zukunft einmal ändern. Es tut darum gut, rechtzeitig einen Blick auf die freien Kirchen zu werfen: Ihre Mitglieder greifen fast immer deutlich grosszügiger ins Portemonnaie als die Reformierten. Und freiwillige unbezahlte Mitarbeit für die Gemeinde gehört dort zum christlichen Glauben dazu. Es ist wahrscheinlich, dass wir da als Reformierte auch einmal hinkommen werden.

Wir müssen die freiwillig Engagierten ermächtigen. Und die vom Glauben Ergriffenen. Sie sind unser Reichtum. Es ist keine Ketzerei, wenn gefragt wird: «Wofür brauchen wir die teuren Angestellten wirklich?». Jesus hat bekanntlich keine Theologen berufen. Eine Kirchgemeinde sollte Freiwilligen auch Aufgaben anvertrauen dürfen, die normalerweise von Angestellten erwartet werden. Es macht nichts, wenn eine Gemeinde dadurch etwas gar fromm wird. Und es macht auch nichts, wenn eine andere Gemeinde das Evangelium etwas gar liberal auslegt. Jesus war ziemlich grosszügig, wenn es um die Zulassung zum christlichen Dienst ging: «Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns.» (Mk 9,40) Die Reformierte Kirche hat ihren Reichtum noch lange nicht ausgeschöpft.

Und was machen wir mit denen, die aus der Reformierten Kirche austreten, um Geld zu sparen? Erheben wir saftige Gebühren für kirchliche Handlungen an Nicht-Mitgliedern? Ich bin dafür. Aber noch besser finde ich, wenn wir solche Handlungen ablehnen. Christlicher Glaube ist kein Geschäftszweig. Es genügen zwei Worte: «Bitte eintreten!». Das Himmelreich lässt sich nicht kaufen. Es lebt von den Gläubigen und ihrem Engagement. Das ist unser Reichtum.

Ich wünsche unserer Evangelisch-reformierten Kirche den unerschöpflichen Reichtum des Himmels.

Unsere Empfehlungen

Projekt der Krebsliga Ostschweiz und BILL

Im Leben und Sterben getragen sein

Die Krebsliga Ostschweiz und die ökumenische Fachstelle BILL – Begleitung in der letzten Lebensphase – arbeiten zusammen, um Palliativpatienten und ihre Angehörigen auch im ambulanten Umfeld seelsorgerisch zu unterstützen. Diese Zusammenarbeit soll eine umfassende Palliativversorgung fördern.
Kirche und Mammon

Kirche und Mammon

Die Kirche und ihr Geld. Ein heikles Thema. Als Zürcher Kirchenratspräsident hatte Michel Müller die Aufgabe, die Kirchenordnung umzusetzen. Und diese schreibt ganz am Anfang in Art. 3, dass die Kirche «ihr Glauben, Lehren und Handeln... am Evangelium von Jesus Christus orientiert».
Wie sich die Kirche neu erfindet

Wie sich die Kirche neu erfindet

Die Landeskirchen stehen vor finanziellen Herausforderungen. Die demografische Verschiebung hin zu einer unausgewogenen Altersstruktur und der Rückgang christlich-religiöser Bezüge führen zu einem stetigen Rückgang der Kirchbürger:innen.