Gotteshaus, Gassenküche, Pferdestall

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25.03.2021
Kirchen und Klöster umzunutzen, ist keine neue Idee. Weil die Reformatoren Gotteshäuser nicht mehr als heilige Orte betrachteten, erlebten diverse Kirchenbauten in der Schweiz seit dem 16. Jahrhundert erstaunlich wechselvolle Kapitel in ihrer Nutzungsgeschichte.

Faktisch waren Kirchen schon im Mittelalter Multifunktionsbauten mit Treffpunktcharakter – und wenig andächtiger Atmosphäre: In den meist banklosen Räumen schliefen Pilger und stöhnten Kranke, hier wurde gegessen, gehandelt, geschäkert, gespielt, geurteilt, getratscht.

Heiliger Raum …

Trotzdem waren und sind Kirchen nach katholischem Verständnis von der übrigen Welt abgesonderte, heilige Räume: ein Abbild der lebendigen Kirche der Gläubigen, mit dem Altar im Mittelpunkt, wo in der Eucharistiefeier Christus präsent ist. Mit der feierlichen Weihe durch den Bischof wird ein Kirchenbau weltlichen Zwecken auf Dauer entzogen – und seine Erlaubnis ist nötig, bevor eine katholische Kirche formell entweiht und umgenutzt werden kann.  

… nützliches Haus

Die Reformatoren lehnten diese Trennung in heilige und weltliche Sphären ab. Für sie waren Kirchen schlicht Versammlungsorte für Gebet und Gottesdienst. «Und wo diese Ursache aufhört, sollte man dieselben Kirchen abbrechen, wie man es mit allen anderen Häusern tut, wenn sie nicht mehr nützlich sind», schrieb Luther. Als Steinbrüche endeten aber nur wenige Schweizer Klöster und Kirchen, als während der Reformation Ordensgemeinschaften und Stifte aufgehoben wurden und ihr Besitz an den Staat ging. Doch nicht Pietät, geschweige denn denkmalpflegerische Überlegungen, sondern karitative oder wirtschaftliche Zwecke dominierten das weitere Schicksal der Bauten.

Gassenküchen und Schulen …

Durch die Aufhebung geistlicher Gemeinschaften und Stifte verfügten die staatlichen Obrigkeiten über immense zusätzliche Güter. Reformatoren wie Zwingli drängten darauf, diesen Reichtum zur Verkündigung des göttlichen Worts, für Armutsbekämpfung und Bildung einzusetzen. So wurden etwa Räumlichkeiten des Predigerklosters in Zürich zu Spital, Alters- und Waisenheim umgewandelt, dazu entstand hier wie im Augustinerkloster ein «Mushafen», ein Vorläufer moderner Gassenküchen. Aus dem Katharinenkloster in St. Gallen wiederum wurde noch im 16. Jahrhundert eine höhere Knabenschule, 1615 fand hier die Bibliothek Vadians ihren Platz, Grundstock der späteren Kantonsbibliothek. 

… Lager und Pferdeställe …

Das Kloster St. Gallen hingegen musste wenige Jahre nach der Aufhebung wieder dem Abt überlassen werden. Heute ist kaum vorstellbar, dass der Klosterkirche womöglich das Schicksal anderer Gotteshäuser geblüht hätte: Um die hohen Kirchenschiffe besser ausnutzen zu können, wurden häufig Zwischenböden eingezogen, besonders viele wurden aufgrund ihrer Grösse zu Lager und Speicher umfunktioniert (z.B. Heiliggeistkirche in Bern als Kornschopf oder die Basler Barfüsserkirche als Waren- und Salzlager), in manchen wurden Weinpressen eingerichtet, andere wurden zeitweilig als Pferdestall, Kaserne oder Münzprägestätte benutzt. 

… Marktplatz und: Gotteshaus

So verzeichneten manche Kirchen eine abwechslungsreiche Geschichte: Die Wasserkirche in Zürich etwa (wo der Legende nach die Stadtheiligen Felix und Regula enthauptet wurden) steht nach der Reformation 1524 zunächst leer, dient anschliessend als Vorratslager für Bauern. Die 1581 erfolgte Unterteilung in drei Etagen erlaubt es, die unterste Ebene als Markthalle zu nutzen, auf den oberen Stockwerken mieten Händler Lagerabteile. Schon 50 Jahre später eine erneute Umnutzung samt Einbau von Galerien: Es entsteht die erste städtische Bibliothek inklusive einer Wunderkammer (ein Museum). Ab den 1940ern schliesslich wird das Gebäude wieder als Kirche genutzt – zum ersten Mal seit 400 Jahren. Seit 2018 finden aber keine Gottesdienste mehr statt, die Kirche wird für Konzerte, Ausstellungen und private Anlässe genutzt.

Zweierlei Verweltlichung

Das zweifache Ende der Wasserkirche als Gotteshaus zeigt zwei unterschiedliche Prozesse, die zu Umnutzungen von Kirchen führen: Durch Säkularisation wurden geistliche Institutionen durch weltliche Obrigkeiten aufgehoben und enteignet. Dies geschah in der Schweiz nicht nur während der Reformation, sondern auch ab 1770 durch Aufklärung, Revolution und Liberalismus. Der junge Kanton St. Gallen hob z.B. in dieser Phase die Klöster St. Gallen, Schänis und Pfäfers auf. Dagegen bezeichnet man die individuelle und gesellschaftliche Abwendung vom Kirchlich-Religiösen als Säkularisierung. Sie ist es, die heute Kirchgemeinden in ganz Europa zwingt, wegen sinkender Mitgliederzahlen und Ressourcen neue Nutzungen für ihre Kirchen zu finden. In welchen Gebäuden wird wohl in 400 Jahren noch, neu oder wieder Gottesdienst gefeiert?

Text: Philipp Kamm, Ebnat-Kappel | Foto: Oliver Stern – Kirchenbote SG, April 2021

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