«Hier ist es fast wie daheim»

min
21.10.2019
Das Hospiz an der Waldstrasse 3 in St. Gallen gleicht einer Wohngemeinschaft. Schwer kranke Menschen verbringen ihre letzten Tage oder Wochen zusammen und werden in familiärer Atmosphäre auf ihrem letzten Weg begleitet.

Nichts deutet von aussen darauf hin, dass in diesem Haus unheilbar kranke Menschen leben, sich auf den Tod vorbereiten und in Ruhe Abschied von ihren Angehörigen nehmen. Denn oft ist fröhliches Lachen aus den Zimmern oder den Stübli zu hören. «Im Hospiz finde ich den notwendigen Abstand, den ich brauche, um Abschied zu nehmen», sagte Verena Wohlfender kurz vor ihrem Tod. Wichtig sei für sie gewesen, dass ihr Ehemann und die Familie entlastet wurden. Sie sagte: «Hier ist es familiär, fast wie daheim.» Für jeden verstorbenen Bewohner, jede verstorbene Bewohnerin ziert ein bunter Schmetterling die Wand beim Eingang. «Eine schöne Erinnerung an jene Menschen, die wir begleiten und die bei uns sterben durften», sagt Roland Buschor, Geschäftsführer im Hospiz.

Seelsorge spielt wichtige Rolle
Im Hospiz ist eine 24-Stunden-Pflege gewährleistet. Im Bereich Pflege arbeiten 16 Personen. Alle Diplomierten – es sind 5,4 Stellen – haben eine Aus- oder Weiterbildung und Erfahrung in Palliative Care. Beim Eintritt werden in einem Erstgespräch die Bedürfnisse des Patienten abgeklärt. «Uns ist eine ganzheitliche Pflege wichtig», sagt Daniela Palacio, Leiterin Pflege. Das heisse, es würden nicht nur Medikamentenlisten besprochen, sondern auch pflegerische oder seelsorgerliche Wünsche erfasst. «Je nach Bedürfnis werden andere Berufsgruppen hinzugezogen, dabei spielt die Seelsorge bei vielen eine wichtige Rolle.» 

«Wir sind hier an keine festen Strukturen gebunden.»

Palacio hat schon einige Eintrittsgespräche geführt. Medikamente, Pflege oder Therapie seien nur drei Themen, ein anderes sei der Bewohnervertrag, der zusammen Punkt für Punkt durchgegangen werde. Beispielsweise wird darin geregelt, dass der Verstorbene drei Tage im Zimmer aufgebahrt wird und die Angehörigen in Ruhe Abschied nehmen können. Da erlebe man verschiedene Situationen, sagt Palacio. «Auch haben Kinder schon ein Haustier mitgenommen», erzählt sie. Das Pflegepersonal unterstütze die Hinterbliebenen bei der Trauerarbeit.

Tagesablauf gibt es nicht
Nicht geregelt im Bewohnervertrag wird der Tagesablauf. «Wir sind hier an keine festen Strukturen gebunden», sagt die Leiterin Pflege. «Unsere Bewohner bestimmen selbst, wie sie den Tag verbringen wollen. Sie dürfen aufstehen, wann sie wollen, essen, wann sie Hunger haben, ein Schläfchen machen, wenn sie müde sind, im Garten sitzen, wenn sie wollen. Jeder und jede hat ihren eigenen Rhythmus.» Der 34-jährigen Leiterin Pflege liegt eine offene und empathische Gesprächskultur sehr am Herzen. 

Tod ist nicht immer im Zentrum
«Das Hospiz ist wie eine Wohngemeinschaft», sagt Franz Keel. Seine Schwester hat vier Wochen im Hospiz gewohnt und ist schliesslich gestorben. «Die schwerst kranken Menschen sind hier nicht isoliert in ihren Zimmern. Ich habe es geschätzt, dass meine kranke Schwester mit mir zusammen und mit dem Personal die Mahlzeiten an einem grossen Tisch einnehmen durfte und wir uns austauschen konnten.» Der Tod sei zwar allgegenwärtig. Aber er sei nicht immer Gesprächsstoff. Seine Schwester habe die letzten Tage in behüteter und familiärer Atmosphäre verbringen dürfen. «Dafür bin ich dankbar.» 

 

Text: Rita Bolt | Foto: Miranda Outon  – Kirchenbote SG, November 2019

 

 

Unsere Empfehlungen

«Ich bin eine begeisterte Reformierte!» (1)

Rita Famos, Präsidentin der Evangelischen Kirchen Schweiz (EKS) verriet am Podiumsgespräch in Teufen, was sie motiviert und was ihr schlaflose Nächte bereitet. Seit 2021 ist sie die Frau an der Spitze der EKS. Sie stellte sich kürzlich den Fragen von Pfarrerin Andrea Anker und jenen aus dem ...

Ihr Sohn gibt ihr Kraft (1)

Vor zwei Jahren verlor Iryna Roshchyna ihren Mann, vor einem Jahr musste die Ukrainerin Hals über Kopf mit ihrem knapp zweijährigen Sohn in die Schweiz flüchten. Mittlerweile hat die Köchin eine Stelle gefunden und im Rheintal Fuss gefasst. Bei ukrainischen Crèpes mit Lachs und Apfel erzählt sie ...
Ihr Sohn gibt ihr Kraft

Ihr Sohn gibt ihr Kraft

Vor zwei Jahren verlor Iryna Roshchyna ihren Mann, vor einem Jahr musste die Ukrainerin Hals über Kopf mit ihrem knapp zweijährigen Sohn in die Schweiz flüchten. Mittlerweile hat die Köchin im Rheintal Fuss gefasst. Bei ukrainischen Crèpes mit Lachs und Apfel erzählt sie aus ihrem bewegten Leben.