Hinterfragen und herunterbrechen
In den 1970-er Jahren förderte der CVJM (Christlicher Verein junger Menschen, heuten Cevi) mit seiner Organisation «Mut zur Gemeinde» die Bildung von Gruppen, die sich selbstständig der Lektüre der Bibel widmeten. «Damit sollte die Kirche und ihr Leben aktiviert und auch für Kirchenferne geöffnet werden. Im Zentrum standen nicht Pfarrer, sondern explizit Laien», erinnert sich Margrit Bleisch. Um sogenannte Hauskreise zu gründen und durchzuführen, wurde an Seminaren das nötige Wissen vermittelt, auch entsandte der CVJM bei Bedarf geschulte Leute in die Gemeinde.
Junge Familien
Als sich der Betriebselektriker und die Kindergärtnerin 1972 in Jona niederliessen, gründeten die Bleischs mit anderen Ehepaaren einen Hauskreis. Der Stein kam ins Rollen. Es bildeten sich immer mehr Gruppen. Neben den vierzehntäglichen Treffen wurde einmal pro Jahr ein Wochenende ausserhalb der Gemeinde organisiert. Generationen trafen sich. Es wurde Fussball gespielt, gegessen, der Sonntagsgottesdienst gefeiert, das Zusammensein genossen.
«Je mehr ich mich mit einer Textstelle befasse, desto interessanter wird sie.»
Weil die Hauskreise auf privater Initiative beruhten, fiel vielen der Einstieg leicht. Mit jeder Rotation von Stube zu Stube wuchs der Bibel- oft auch zum Seelsorgekreis an. Man fand Freunde fürs Leben. Auf dem Höhepunkt der Hauskreise kamen sieben Gruppen zusammen. Als die Kinder ausflogen, ging die Zahl der Hauskreise allmählich zurück. «Viele ältere Mitglieder gehören noch heute zu den treuen Kirchgängern», sagt Margrit Bleisch. Sie betreut aktuell zwei Nachmittagsgruppen. Ihr Mann rief vor einigen Jahren das «Bibelgespräch» ins Leben.
In verständlicher Sprache
Bevor sich die Männergruppe im Kirchgemeindehaus trifft und zuerst einen Kaffee trinkt, bereitet sich Werner Bleisch, meist zusammen mit einem Kollegen, akribisch vor. «Was mich immer wieder fasziniert, ist, dass eine Textstelle, je mehr ich mich mit ihr befasse, desto interessanter wird.» Bleisch behandelt die Bibel – im Gegensatz zu seiner Frau – nicht fortlaufend, auch klebt er nicht am Text. Die Gegenwart, das Hier und Jetzt, sind ihm wichtig. «Ich versuche, den Text aus der Sicht von heute darzustellen.» Vor dem Treffen verschickt er den Teilnehmern den Auszug aus der Bibel, stellt eine Frage ins Zentrum. Manchmal greift der kunsthandwerklich begabte Bleisch während des Treffens zu einer Marionette. Der Puppenspieler inszeniert dann eine Bibelstelle, ergänzt sie, um eine längere Geschichte mit der Puppe erzählen zu können. «So wird die Bibel in die Gegenwart gebracht, manchmal in Rapperswil-Jona angesiedelt und auf unseren Alltag heruntergebrochen. Ich achte auch darauf, dass die Sprache inhaltlich für jedermann verständlich ist.»
Ehrlich, offen, ohne Hemmungen
In den Diskussionen über die Bibelstelle müsse niemand Hemmungen haben – egal, ob sein Wissen bei der Sonntagschule stehen geblieben oder tiefer ist –, man darf quasi «Fehler» machen, könne nachfragen, hinterfragen, neue Erkenntnisse einbringen. Es werde offen und ehrlich diskutiert. Meist schwingen Alltagssorgen und Probleme mit. «Nein, wir sind nicht immer gleicher Meinung und sagen das frei heraus», erzählen Werner wie Margrit Bleisch. Bei ihrer Gruppe nehme übrigens jede ihre eigene Bibel mit. Die unterschiedlichen Übersetzungen seien bereichernd. Bei Unklarheiten könnten sie Rücksprache mit einer Pfarrperson nehmen. Viel eher gefragt aber seien neue Teilnehmer. «Denn leider mangelt es an jungen Mitgliedern, an Nachwuchs. Überhaupt fehlt es in den Gruppen der Kirche an einer guten
Altersdurchmischung. Dies wäre aber wichtig für eine funktionierende Gemeinschaft.»
Text | Foto: Katharina Meier – Kirchenbote SG, Februar 2022
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