Hoffnung am Rand des Abgrunds

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28.10.2020
Zur gewaltigen Armut kam noch die gewaltige Explosion im Hafen von Beirut dazu: Der Libanon ist zum Pulverfass im Nahen Osten geworden. Christliche Organisationen helfen, wo sie können. Andere ziehen sich zurück. Auch Elvira Schildknecht musste schweren Herzens Flüchtlinge und Freunde zurücklassen.

Im Libanon ist nichts mehr, wie es mal war: Noch in der 1960er Jahren galt das Land wegen seiner wirtschaftlichen Stabilität und politischen Neutralität als «Schweiz des Orients». Die Hauptstadt Beirut galt vor dem Bürgerkrieg sogar als «Paris des Nahen Ostens». Doch dann ging’s bergab: Kriegswirren, Regierungskrisen, Wirtschaftskrisen, über eine Million Flüchtlinge aus dem Nachbarland Syrien, ungünstige Verquickungen von Religion und Staat und letztlich die Explosionskatastrophe in Beirut am 4. August dieses Jahres brachten das Land an den Rand des Abgrunds.

Höchste Zahl Flüchtlinge
Verschiedene Hilfsorganisationen schreiben von den schlimmsten Ereignissen seit Beginn des Bürgerkriegs 1975 und dass es ein Wunder brauche. Der Libanon stehe mit 1,5 Millionen aufgenommenen syrischen Flüchtlingen an einem kritischen Punkt, schreibt die Organisation Solidar Suisse, die weltweit für Solidarität mit benachteiligten Menschen einsteht. Die kleine Nation mit nur 4,5 Millionen Einwohnern weise die weltweit höchste Anzahl Flüchtlinge pro Kopf auf.

Dies hat Elvira Schildknecht persönlich erlebt: Sie wurde von der Evangelischen Kirchgemeinde Bischofszell-Hauptwil ausgesendet, um Versöhnungsarbeit unter den verschiedenen Religionsgruppen im Nahen Osten zu leisten, zusammen mit den Einheimischen zu leben und zu arbeiten und Hoffnung auf der Basis des Evangeliums zu verbreiten.

Erntearbeit in Sommerhitze
Schildknecht musste den Libanon unerwartet verlassen, weil zum Teil ihre Sicherheit gefährdet war. Die schlechte Wirtschaftslage habe nicht nur zu Volksaufständen, sondern auch zu einem sprunghaften Anstieg der Kriminalität geführt. Zeitweise hätten die meisten Haushalte nur knapp drei Stunden Strom pro Tag erhalten. Trotzdem habe sich ihre Arbeit gelohnt, die auch von der destabilisierten Lage geprägt war: Schildknecht und ihr Team suchten die Flüchtlinge in ihren Zeltlagern auf, assen mit ihnen und halfen ihnen, ihre Zelte zu reparieren. Ebenso unterstützten sie sie als Erntearbeiter in der brütenden Sommerhitze bei den libanesischen Gemüsebauern oder als Handlanger auf dem Bau. So hätten die Flüchtlinge erlebt, «dass wir nicht zu den grossen Gruppen von westlichen Elendstouristen gehören, die gerne ein Flüchtlingslager besuchen, um Tee zu trinken und sich zusammen mit Flüchtlingen fotografieren zu lassen». So habe sie tatsächlich Mühe gehabt, ein Foto von sich in der Krisenregion zu finden.

Menschen finden trotz allem Halt
Sie sei zwar traurig gewesen, das destabilisierte Land verlassen zu müssen, sagt Elvira Schildknecht. Sie sei aber nach wie vor über soziale Medien in Kontakt mit einigen Menschen und habe ihre «wichtigste Lektion aus dieser Zeit» gelernt: «Ich kann den Menschen nicht helfen. Alles, was ich ihnen geben kann, sei es materiell oder auch Zuwendung, das ist bald aufgebraucht.» In dieser Hoffnungslosigkeit hätten die Flüchtlinge gerade auch Mut machende Gottesdienste oder Kinderstunden geschätzt. Ihr Einsatz sei dennoch nachhaltig, und der christliche Glaube gebe den Menschen trotz allem Halt. So habe ihr eine syrische Flüchtlingsfrau geschrieben: «Ihr seid zwar abgereist, aber wir wissen, Jesus ist da und steht uns bei; er ist unsere Hoffnung.»

Roman Salzmann, kirchenbote-online

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