Hoffnung geben – aber keine falsche

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30.11.2022
Zurzeit nimmt die Anzahl der Migranten zu. Angelo Curcio erlebt dies hautnah. Der Seelsorger betreut die Flüchtlinge in verschiedenen Bundesasylzentren. Ein Besuch an der Grenze zu Deutschland.

Es rieche etwas streng nach Fisch, erklärt Angelo Curcio, als er die Türe zur Küche aufstösst. In der Tat, in der Luft liegt ein fremdartiger, beissender Geruch. Der Pfarrer führt durch das verwinkelte Gebäude des Vereins «Ökumenischer Seelsorgedienst für Asylsuchende» (OeSA). Von der Kleiderkammer, in der alte Kittel, Hosen, Mäntel, Röcke und Blusen fein säuberlich aufgereiht an der Stange hängen, durch die Büros zur Küche des Cafés, wo für die Migranten gekocht wird.

Im Grenzland gestrandet
Das «Mama Africa», wie die Gäste das offene Haus nennen, liegt einen Steinwurf von der deutschen Grenze entfernt, unweit vom Bundesasylzentrum (BAZ) und dem Ausschaffungsgefängnis in Basel. Güterzüge rattern über den verwilderten Bahndamm, unten auf der Strasse staut sich der Feierabendverkehr. Hier im Grenzland sind unzählige Asylsuchende gestrandet. Sie hoffen, in der Schweiz bleiben zu dürfen. Bei vielen zerschlägt sich diese Hoffnung allerdings bereits nach wenigen Wochen.

Neben der praktischen Hilfe, ist das seelsorgerliche Gespräch ein wichtiger Teil des Auftrags des OeSA. Der Verein wird hauptsächlich von den Landeskirchen der Nordwestschweiz getragen. Angelo Curcio ist seit bald zwei Jahren als Seelsorger angestellt. Zu Beginn war er nur im BAZ Basel und in Flumenthal im Solothurnischen tätig. Inzwischen hat sich sein Pensum verdoppelt. «Zurzeit werden wir von der Flüchtlingswelle überflutet », sagt er. Mit seiner katholischen Kollegin ist er mittlerweile für die Betreuung von acht Zentren zuständig.

Viel Übersetzungsarbeit
Curcios Klienten kommen aktuell aus Afghanistan, der Türkei, Nord- und Zentralafrika, dem Nahen Osten und Kolumbien. Die Flüchtlinge sprechen Arabisch, Französisch, Englisch oder Farsi. Einige Sprachen versteht Curcio, bei Sprachproblemen übersetzen die Verwandten und Mitarbeitenden oder der Google-Translator springt ein.

Die Migranten berichten von ihrer Reise und ihrer Heimat, von Verfolgung und Armut und von ihren Problemen hier in der Schweiz. Curcio hört zu, versucht zu helfen, erklärt das Asylverfahren, übersetzt und erläutert die Schreiben der Behörden. Er stellt den Kontakt zu Hilfswerken her und hilft bei gesundheitlichen Problemen und anderen Beschwerden, für die sonst niemand Zeit hat. «Jeder Fall und jedes Schicksal ist speziell», sagt der Seelsorger. «Manchmal sind es aus hiesiger Perspektive Lappalien, welche die Flüchtlinge belasten, etwa eine Busse fürs Schwarzfahren, die sie nicht zahlen können.»

Im Ghetto in Marseille
Der Seelsorger kennt die Heimatländer vieler Migranten. Während Jahren war er für eine christliche NGO in den Krisengebieten tätig. In Jerusalem, im Libanon an der Grenze zu Syrien, wo er die Flüchtlingslager besuchte, sowie in den berüchtigten Ghettos von Marseille. Die NGO versuchte hier, den arbeitslosen, teils kriminellen Jugendlichen Hoffnung und eine Perspektive zu vermitteln.

Fremde Kulturen, Sprachen und Menschen liegen Angelo Curcio seit jeher am Herzen. Bei der Arbeit als Nachtwächter in einem Asylheim während des Theologiestudiums habe es Klick gemacht. Seit dem Aufenthalt im Nahen Osten spricht er Arabisch. Zurzeit lernt er Farsi, um sich mit den Afghanen und Iranern besser austauschen zu können. «Vielleicht hängt diese Empathie mit meiner eigenen Geschichte zusammen», sinniert Curcio. Sein Vater stammt aus Süditalien, er selbst ist im Tessin aufgewachsen. Als Teenager zog er in die Deutschschweiz, wo er zunächst nichts verstand und sich völlig fremd fühlte. Diese Erfahrung helfe ihm, sich in die Situation der Migranten einzufühlen.

Ohne falsche Erwartungen zu wecken, versucht er zu geben. Ein einfaches Gebet spende manchmal Trost. Besonders belastend sei es, wenn ein Flüchtling keine Chance auf Asyl habe. «In solchen Momenten bin ich froh um den Glauben an Gott. Er kennt Wege, wo es menschlich gesehen keinen Weg mehr gibt.» Ohne diesen Rückhalt würden ihn die Schicksale erdrücken. Dass die letzte Verantwortung in den Händen Gottes liegt, motiviere ihn, weiterzumachen.

Überraschende Wende
Ab und zu nimmt das Leben der Flüchtlinge eine überraschende Wende zum Guten. Ein Palästinenser, der den Pfarrer aufsuchte, wollte in der Schweiz arbeiten, um seine Familie in Gaza zu ernähren. Auch er musste aufgrund des Schengen-Abkommens zurück nach Italien. Angelo Curcio nahm Kontakt zur dortigen Waldenserkirche auf, die den Palästinenser dann betreute. Heute lebt dieser als anerkannter Flüchtling in Venedig, und arbeitet als Maurer.

Es brauche manchmal nur wenig, um ein Schicksal zu wenden, so Curcio. Angelo Curcio freut sich über die Solidarität, welche die Schweiz den ukrainischen Flüchtlingen entgegenbringt. Er wünscht sich, dass «wir uns ebenso gegenüber jenen Migranten ö§nen, die fremder und vielleicht auch bedrohlicher wirken als die Ukrainer».

Tilmann Zuber, kirchenbote-online

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