Auch heute ist eine Mär …
…dass wir alle die gleichen Rechte hätten! Die gleichen Rechte für Frauen und Männer sind seit 40 Jahren gesetzlich verankert. Seither wurde das Gleichstellungsgesetz in Kraft gesetzt, die Bundesverfassung angepasst und vieles verbessert. Es gibt allerdings noch genug Differenzen, die nicht ausgeräumt sind. Wir nehmen auch bewusst in Kauf, dass es bei den Sozialversicherungen unterschiedliche Ansprüche für Frauen und Männer gibt. Andere Ungleichheiten wollen wir dagegen bewusst abschaffen und schreiben Lohngleichheitsanalysen vor. Eine tatsächliche Gleichstellung – Fehlanzeige! Die formale Rechtsgleichheit konnte daher die ökonomischen, sozialen und politischen Ungleichheiten bis heute auch nicht endgültig beseitigen. Wenn wir selbst Unterschiede schaffen, bleiben sie uns noch lange erhalten!
Beatrix Bock, Kirchenpräsidentin von Rapperswil-Jona
Frau zu sein hat Vorteile
Für mich als «Female Young Professional» gibt es eine Reihe von Vorteilen. Ich komme gerade etwas leichter an meinen Traumjob als ein Mann und ich komme in den Genuss von Frauenevents: Frauen-Brunch, Frauen-Coaching, Frauen-Recruitment. In der Unternehmerwelt gibt es viele Programme, die «female entrepreneurship» vorantreiben. Das Pendel schwingt vielleicht gerade etwas stark in Richtung Vorteile für Frauen. Bevor es in der Mitte zum Stehen kommt, muss es sich erst einmal in verschiedenste Richtungen ausschwingen. Das ist Teil des Prozesses. Wir Frauen haben aber nicht nur Vorteile: «Du wirst genommen, nur weil du eine Frau bist», heisst es etwa. Und laut Statistiken erhalten Start-Up-Gründerinnen immer noch weniger Finanzierung als ihre männlichen Kollegen zugesprochen. Grund: unbewusste Voreingenommenheit.
Meike Kocholl (26), Jungunternehmerin, St. Gallen
Quoten sind unfair
Frauen in niederen sozialen Schichten und mit Migrationshintergrund sind oft schlechter gestellt als ihre männlichen Kollegen. Da muss sich unbedingt etwas ändern. Aber ich hörte auch schon von Männern, die darum keine Stelle bekamen, weil sie das falsche Geschlecht haben – gerade wenn es um Leitungspositionen an staatlichen Stellen geht. Einem Grossunternehmen eine Frauenquote aufzudrücken dünkt mich für die «bevorzugten» Frauen allerdings keine gute Idee. Ja, ich empfinde es geradezu als diskriminierend – aber vielleicht, weil ich halt ein Mann bin. Als besonderes Kapitel wäre unser sexualisierter Alltag zu beleuchten. Hier wundere ich mich, dass Frauenverbände nicht mehr protestieren gegen die Ausbeutung der Frau. Ebenso, wenn es um Prostitution und Menschenhandel geht.
Marcel Ammann, Pfarrer, Altstätten
Kitas und Blockzeiten
Ich bin in den USA aufgewachsen, beide Eltern waren berufstätig. Mein Vater arbeitete im Aussendienst, meine Mutter war Vizepräsidentin der grössten Bank in Tennessee. Zu Hause haben wir alle Haushaltpflichten durch drei geteilt. Als ich in die Schweiz kam, war es anders. Ich fragte mich, wieso. Das habe ich verstanden, als meine drei Kinder das Schulalter erreichten: Irgendjemand ist immer nach Hause gekommen oder rausgegangen – das Haus war nie leer. Seither haben Blockzeitein in der Schule, Mittagstische, Horte und Kitas den Alltag vereinfacht. Neue Arbeitsformen und Familienmodelle auch. Diese Fortschritte ermöglichen vielen Frauen die Wahl, ob sie zu Hause bleiben oder ihren Beruf ausüben möchten. Frauen, die diese Wahl nicht haben, brauchen Unterstützung. Wir sollten ihre Entscheide respektieren, auch wenn sie anders sind als unsere.
Vicki Gabathuler, Marketingfachfrau, Gams
Auch Männer werden benachteiligt
Ich bin sehr dafür dass noch mehr für die Gleichstellung gemacht wird, etwa im Bereich Arbeit und Familie. Deshalb finde ich auch, dass ein gesundes Mass an Feminismus unserer Gesellschaft guttut. Doch leider gibt es auch Leute, die es mit dem Feminismus, gelinde gesagt, etwas übertreiben. Solange man begründete und relevante Verbesserungsvorschläge bringt und sich nicht mit utopischen Ideen im Detail verrennt, ist das schön und gut. Männer werden übrigens ebenfalls benachteiligt. So ist das Bildungssystem besser auf Mädchen zugeschnitten, was sich in einer höheren Maturitätsquote widerspiegelt. Auch der Wehrdienst ist nur für Männer obligatorisch. Weshalb sollen Frauen keinen Wehrdienst leisten? Ich finde, dass man gemeinsam über die Benachteiligung beider Geschlechter sprechen und Lösungen finden sollte.
Justin Kaufmann (17), Konfirmand, Gams
Dem Manne gleich
Genesis 2 betont die Einsamkeit des eben geschaffenen Mannes. Gottes Entscheid, ihm etwas Ähnliches beizugesellen ist offensichtlich (Gn 2,18): «Ich will ihm eine Hilfe (ezer) machen, ihm gemäss (kenegdo). Das Hebräische hebt hervor, dass die Frau nicht über, neben, noch unterstellt eingeordnet wird, sondern gleichgestellt ist. Die Frau wurde aus dem Manne geschaffen. Setzt das voraus, dass sie ihm untergeordnet ist? So wie der Mensch (Adam) aus der Erde (Adama) geformt wurde, ist auch er ihr nicht untergeordnet. La côte ou le côté (wörtlich «Rippe oder Geschätzte», sela auf hebräisch) betont die Begriffe der Beziehungen, der Untrennbarkeit und der Einigkeit. Nichts im Bibeltext lässt auf irgendeine Minderwertigkeit der Frau deuten unter dem Vorwand, dass sie aus dem Mann hervorgegangen ist. Die Frau ist dem Manne gleich, sie steht ihm gleichwertig gegenüber.
Redouane Es-Sbanti, Pasteur, Église française Saint-Gall
Reden fällt vielen Männern schwer
Früher hatte der Mann den Zahltag und damit vielfach das Sagen. Frauen schwiegen, der Harmonie zuliebe. Dies hat sich Gott sei Dank geändert. Vor allem im öffentlichen Bereich ist die Gleichberechtigung da, obwohl bei gewissen Berufen Frauen nach wie 120 Prozent leisten müssen, um eine Gleichstellung zu erreichen oder den gleichen Lohn zu erhalten. Im privaten Bereich habe ich aber meine Zweifel, ob die Gleichberechtigung funktioniert. Hier gibt es nach wie vor Männer, die einfach entscheiden, ohne gross über eine Sachlage partnerschaftlich zu diskutieren. Man(n) macht es mit sich selber aus. Offen über etwas zu reden fällt vielen Männern nach wie vor schwer. Da hat es noch Potenzial.
Elsbeth Meier (85), Hausfrau, Wattwil
Streetdance für Mädchen
In der Schweiz hat sich im Verlauf der letzten Jahre einiges verbessert in Bezug auf die Gleichberechtigung. Jedoch erfahre ich immer noch, dass in manchen Volksschulen Frauen ausgegrenzt, gehänselt oder mit Vorurteilen eingedeckt werden. Ähnliches erlebe ich in manchen Lokalen, im Bus oder im Zug, auch in Bezug auf Homosexuelle. Die Genderfreiheit wird noch von vielen Leuten belächelt, da sie einfach neu ist. Mittlerweile gibt es auch Vereine, die stark auf Gleichberechtigung setzen. Das Streetdance-Angebot «roundabout» etwa ist speziell für Mädchen konzipiert.
Janine Büchler (19), Praktikantin, St. Gallen
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Umfrage: Stefan Degen, Katharina Meier | Fotos: meka, zVg – Kirchenbote SG, Oktober 2021
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Ist die Frau heute wirklich gleichberechtigt?