Jesus im Bombenterror
Eine Christusikone in einer Kirche. Blut rinnt aus den Wunden an Händen, Füssen und der Seite. Totenschädel gehen von der Seite und von oben auf die Kirche nieder und zerschneiden sie wie Butter. –Die Symbolik im Aquarellbild Danylo Movchans ist deutlich: Christus und die Kirche sind in den ukrainischen Farben Blau und Gelb gehalten, die fliegenden Totenschädel repräsentieren russische Bomben. Sie zielen auf die Christusikone. Als er das Bild gemalt habe, erinnert sich Movchan, habe es erste Nachrichten über russische Angriffe auf Kirchen gegeben.
In der Sowjetukraine getauft
Danylo Movchan wurde 1979 in Lwiw (Lemberg) im Westen der Ukraine geboren und studierte an der nationalen Kunstakademie sakrale Kunst. Später wurde er professioneller Ikonenmaler. «Wenn ich eine Ikone male, bete ich auch immer», sagt er. Movchan ist Mitglied der Ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, die zur Römisch-katholischen Kirche gehört, aber der byzantinischen Liturgie folgt. Dieser Kirche zugehörig, wurde er noch zu Sowjetzeiten getauft.
Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 war es mit der Ikonenmalerei vorerst vorbei. Movchan war innerlich blockiert: «In den ersten Tagen konnte ich nicht mehr richtig malen. Meine Arbeit war nur noch irgendwie mechanisch und gefühllos, weil alle diese schrecklichen Gedanken in mir waren», erinnert sich der Künstler. Um die Situation zu verarbeiten, begann er, Aquarelle zu malen.
In die Menschen hineinblicken
Die Bilder, die entstanden sind, sind schwere Kost. «Verbrannte Körper» und «Stickstoffexplosion», heissen sie. Oder: «Russe vergewaltigt ukrainische Frau.» Ein Bild zeigt eine Mutter, die um ihr totes Kind trauert, das Kind auf den Knien, die Arme erhoben. Ein anderes ein dunkles Gesicht, bei dem die Wasserfarben vor Schmerz heruntertropfen.




Die Bilder seien eine Mischung aus Symbolismus und Minimalismus, sagt der Schweizer Pfarrer Max Hartmann, der ein Buch über Danylo Movchan geschrieben hat (siehe Kasten). Oft sind nur die Silhouetten der Figuren klar erkennbar, während das Innere durch die Aquarelltechnik verfliesst, sodass die Körper halbdurchsichtig erscheinen. So entsteht der Eindruck, ein Stück weit in die Menschen hineinblicken zu können, was den Bildern eine unglaubliche Lebendigkeit und Dringlichkeit verschafft.
Ikonen malt Movchan heute kaum noch. Und doch ist Christus in seinen Bildern präsent. Es ist ein leidender Christus, die Passion und das Kreuz vor Augen. Das Bild «Familie» etwa zeigt vier Gesichter, angeordnet in einem Kreuz, an denen die Wasserfarben wie Tränen herunterlaufen. Es gehe ihm um das Kreuz, das allen auferlegt werde, sagt Movchan, dessen Bruder im Sommer 2023 bei den Kämpfen um Bachmut getötet wurde. Ein anderes Bild zeigt Jesus Christus, der durch russische Soldaten gefoltert wird.


Jesus und die Bluttransfusion
Daneben gibt es auch hoffnungsvolle Bilder. «Hilfe» heisst eines, das zeigt, wie zwei Menschen einen Verletzten stützen. Oder das Thema «Verbindungen», das sich durch mehrere Bilder zieht, wo Menschen durch eine Vielzahl dünner Fäden verbunden sind. Auf einem ist Jesus abgebildet, die gelben und blauen Fäden erinnern an die Schläuche einer Bluttransfusion. «Hier wollte ich zeigen», sagt Danylo Movchan, «wie Christus mit seinem Blut, das für uns vergossen wurde, sich mit dem Blut, das bei uns heute vergossen wird, in seinem Leiden mit unserem Leiden verbindet.»



Ausstellung und Buch
Bilder von Danylo Movchan sind im Mai ausgestellt in der Offenen Kirche, Böcklinstr. 2, St. Gallen. Vernissage am 4. Mai um 17 Uhr. Eintritt frei.
Buchtipp: Max Hartmann: Ein Schrei der Verzweiflung. Aquarelle von Danylo Movchan zu Russlands Krieg in der Ukraine. ibidem. 195 Seiten, ca. Fr. 42.—
Jesus im Bombenterror