Jesus stellte seine Jünger nicht ein, er berief sie

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27.05.2021
Bei kirchlicher Freiwilligenarbeit geht es um Mitsprache, Wertschätzung und den Herzschlag der Nachfolge. Drei Faktoren sind entscheidend, dass es funktioniert.

Der Saal ist festlich geschmückt und das Buffet reich gedeckt. An den Tischen sitzen rund hundert gut gelaunte Menschen, viele in der zweiten Lebenshälfte. Freude herrscht! Es könnte eine Vereinsversammlung sein. Aber es ist die ländliche Kirchgemeinde, die zum Dankesfest eingeladen hat. Der Anlass findet einmal jährlich zu Ehren der Freiwilligen statt. Und fast alle sind frei und willig gekommen. Schliesslich ist es schön, Wertschätzung zu erhalten, wenn man für Gottes Lohn mitarbeitet. Dass ein Team von Freiwilligen die Kocherei und das Aufräumen übernimmt, trübt die Freude nicht. Man ist sich gewohnt, selbst Hand anzulegen. 

Knatsch um Kirchenkaffee

An der Budgetsitzung der Gemeinde im Speckgürtel der Stadt herrscht hingegen dicke Luft. Für rote Köpfe sorgt das Geld. Beantragt werden über hundert Franken «Honorar» pro Kirchenkaffee – Bohnen nicht eingerechnet. Man habe keine Helferinnen mehr finden können, nachdem Martha Z. gestorben sei, begründet die zuständige Kirchenpflegerin. Also habe man Konfirmandinnen rekrutiert, die bereit sind, für ein geringes Entgelt den Kaffee auszuschenken und den Abwasch zu übernehmen. Das gäbe dann halt übers ganze Jahr einen rechten Batzen. Und um diesen ist der Streit entbrannt.

 

Findet sich niemand, der Kaffee macht, kauft man halt eine Nespresso-Maschine. Alles paletti?

 

Erstens seien 25 Franken pro Stunde kein Pappenstiel, und zweitens vermittle man den Jungen ein eigenartiges Kirchenbild, sagt einer. Aber mit Speck fängt man Mäuse, meint ein anderer. Warum nicht die Kirchenpflege den Dienst übernehmen könne, wagt der Pfarrer zu fragen und erntet ein ver-
legenes Hüsteln. Vielleicht wäre es ehrlicher, den Kirchenkaffee zu streichen? Schliesslich haben am Sonntagmorgen schon Cafés offen. «Aber was sagen die Leute?», fragt der Präsident. «Welche Leute?», flüstert die Protokollantin. Schliesslich beschliesst man, eine Kaffeemaschine zu kaufen. Das käme günstiger und erlaube eine effiziente Selbstbedienung. Der Kaffee sei auch besser. 

Beide Beispiele werfen ein Licht auf die Chancen und Grenzen der Freiwilligenarbeit in Kirchgemeinden. Diese sind ein Mischgebilde aus gewählten Amtsträgern, Angestellten, Ehrenamtlichen und Freiwilligen. Wo das Problem liegt, zeigt das zweite Beispiel: Wenn sich die Mitglieder der Kirche nicht die Bohne für ihre Gemeinde interessieren, hapert es mit dem Gemeindeleben.

Der geldfreie Austausch von Zeit und Wertschätzung ist manchenorts ins Stocken geraten. Es fällt schwer, die treuen Seelen zu finden, die den Karren schleppen. Doch wenn jeder Handgriff bezahlt werden muss und jede Tätigkeit das Niveau einer professionellen Dienstleistung haben soll, geraten nicht nur Kirchgemeinden ins Trudeln, sondern auch das staatliche Milizsystem, Vereine und Parteien. Warum aber funktioniert es in vielen Gemeinden trotzdem?

Drei Erfolgsfaktoren

Ein wichtiger Faktor ist die Kultur. Wie werden in der Kirchgemeinde Beziehungen gepflegt? Wie gross sind die Netzwerke? Bestehen Kontakte zu Mitgliedern ausserhalb der meist kleinen Sonntagmorgengemeinde? Es hängt viel davon ab, wer die Freiwilligen sucht und wer angefragt wird. Sind es nur immer dieselben treuen Seelen, die langsam müde werden? Gerade bei grösseren Anlässen ist man froh um ein Reservoir an Leuten, die frei sind und willig einspringen.

Ein zweiter Faktor ist die Dauer und Art des Engagements. Jemanden für einen Kurzeinsatz zu gewinnen, ist einfacher, als eine Kommission zu besetzen, die regelmässig tagt. Je vielfältiger die Dienstgemeinschaft aufgestellt ist, desto kleiner die Gefahr, dass einzelne Freiwillige zu viel buckeln müssen.

Ein dritter Faktor ist das Team der Mitarbeitenden. Wer mithilft, will – je nach Verantwortung – auch mitreden und nicht nur Befehle empfangen. Das richtige Mass zwischen Unter- und Überforderung will ausgehandelt sein. Weil freiwilliges Engagement quer zu den Zuständigkeiten der Angestellten steht, kennen die Freiwilligen oft verschiedene Ansprechpartner. Diese reden besser miteinander als aneinander vorbei. Das setzt ein gutes Arbeitsklima voraus.

Mehr als Kuchen backen

In den letzten Jahren ist einiges gegangen bei der Freiwilligenarbeit. Sie hat sich modernisiert. Es gibt Aus- und Weiterbildungen, Zertifikate und Ausweise, die belegen, was Freiwillige geleistet haben. Für Menschen im Erwerbsalter ist eine ausgewiesene Freiwilligenarbeit ein Plus im Arbeitsmarkt. Und rüstige Seniorinnen und Senioren, die ihre Lebens- und Berufserfahrung einbringen, werden nicht nur fürs Kuchenbacken gefragt. Vor allem da, wo keine Steuergelder fliessen, ist man auf das unentgeltliche Engagement angewiesen. Nun gilt das für landeskirchliche Gemeinden nur bedingt. Findet sich niemand, der Kaffee macht, kauft man halt eine Nespresso-Maschine. Alles paletti? 

Der Herzschlag der Nachfolge

Die Kirchgemeinde ist etwas anderes als der x-te Verein im Dorf. Daher liegt es nahe, nachzufragen, was es mit der Freiwilligkeit der Christen eigentlich auf sich hat. Einen Hinweis verdanken wir dem biblischen Begriff des «Laien». Das Wort ist griechischen Ursprungs. Es leitet sich ab von laós (= Volk) und taucht im Zusammenhang mit dem Priestertum aller Gläubigen auf. Unter «Laien» sind biblisch gesprochen die Volksgenossen zu verstehen, diejenigen, die zum Volk Gottes gehören. Natürlich sind Berufsleute eingeschlossen. Auch die Pfarrerin, der Organist und der Diakon gehören diesem Priestertum an. Denn es gibt kein anderes! Und wer darf sich Laie nennen? Wer den Ruf hört und ihm folgt. Ist das nicht freikirchlich?

Mag sein, dass die Freikirchen ein Stück Jesuserbe bewahrt haben, das in der staatsnahen Volkskirche vergessen ging. Nämlich die Erinnerung, dass der Ursprung der Kirche eine Bewegung ist. Jesus stellte seine Jünger nicht ein, sondern er berief sie. Und sie sind ihm gefolgt. Darauf beruht die Kraft der christlichen Freiwilligkeit. Sie entspringt der Beziehung zu Jesus, der Leidenschaft, mit der er lebte. Wenn also Angestellte oder Ehrenamtliche andere Laien zum Mitmachen bewegen, geht es nicht darum, den Laden am Laufen zu halten. Es geht um den Herzschlag der Nachfolge, um das, was wir uns gegenseitig zuliebe tun und miteinander für andere tun können. Wenn die Kirche zu diesem Dienst aufruft, macht sie, was weder Schützenverein noch Partei tut: Sie beruft sich auf Jesus, seine Nächstenliebe, seine Hoffnung auf das Gottesreich. Das Kirchenlied (RG 167) bringt es auf den Punkt: «Du hast uns Herr gerufen und darum sind wir hier.»

Text: Ralph Kunz, Professor für Praktische Theologie, Universität Zürich | Foto: Adi Lippuner – Kirchenbote SG, Juni-Juli 2021

 

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