Keine Frage der Grösse
Viele von uns machen es täglich, manche glauben, kaum darauf verzichten zu können: Wir googeln. Wie bedeutsam die Nutzung von Internet-Suchmaschinen für unseren Alltag geworden ist, zeigt sich auch daran, dass die grösste von ihnen zur Namensgeberin für ein neues Verb wurde.
Nahezu unverzichtbar für Arbeit wie Freizeit bearbeiten die Algorithmen von Google etc. unsere Fragen, ordnen Resultate nach Wichtigkeit und schneiden sie dabei verblüffend bis beunruhigend persönlich auf uns zu, nehmen uns die lästige Entscheidung ab, welche der in den unüberschaubaren Tiefen des Internets versenkten Informationen für uns wieder an die Oberfläche gehoben, «relevant» sein sollen.
Wie misst sich Relevanz?
Gar so clever scheint es unsere St. Galler Kirche nicht zu machen: Ein Verb ist bis anhin nicht nach ihr benannt, nur wenige würden sie für ihr Leben als wichtig bezeichnen und der Bedeutungsverlust der Landeskirchen im Allgemeinen scheint besiegelt. Ist es nun abgehobene Uneinsichtigkeit, leitbildliche Schönfärberei oder trotzige Kampfansage, wenn im Dokument «St. Galler Kirche 2025» (von der Synode 2017 verabschiedet) deklariert wird: «Die Kantonalkirche ist eine gesellschaftlich relevante Instanz»? Und auf Basis welcher Kriterien könnte diese Bedeutsamkeit gemessen werden?
Nicht Glamour und Schlagzeilen
Wäre die Relevanz der St. Galler Kirche vorab eine Frage der Grösse, wären anstelle der üblichen Resignation über Austritte und demographische Entwicklung höchst individualisierte Eintrittskampagnen vonnöten, die mindestens so subtil-aggressiv vorgingen wie Google und Co. Als konfessioneller Juniorpartner in St. Gallen ist unsere Kantonalkirche stattdessen sinnvollerweise häufig in enger ökumenischer Abstimmung mit dem katholischen Konfessionsteil unterwegs, um gegenüber der Politik möglichst viel Gewicht in die Waagschale werfen zu können.
«Es braucht unbedingt die Wendung nach aussen, um unsere Vision einer gerechteren Welt anzugehen.»
Die gewünschte Relevanz hängt glücklicherweise auch nicht am Glamourfaktor oder an der Schlagzeilenträchtigkeit. Allerdings wäre eine stärkere öffentliche Wahrnehmung wünschenswert; hier kann die geplante Stärkung der kantonalkirchlichen Kommunikation einen wichtigen Beitrag leisten – solange Medienpräsenz, viele Suchmaschinentreffer und Likes nicht Selbstzweck bleiben, sondern beflügelnde Einblicke in wertvolles Wirken für Einzelne und die Allgemeinheit eröffnen.
Denn warum soll unsere Kantonalkirche überhaupt den Anspruch haben, eine gesellschaftlich relevante Institution zu sein? Weil jede christliche Gemeinschaft, die ihren Blick ausschliesslich nach innen richtet, nur die Hälfte ihrer eigenen Botschaft lebt: Es braucht unbedingt die Wendung nach aussen, um unsere Vision einer friedlicheren, gerechteren Welt im Grossen wie im Kleinen unermüdlich anzumahnen, einzufordern und allein oder im Verbund mit anderen Institutionen anzugehen. Letztlich ist es diese Art gesellschaftlicher Relevanz, an der sich unsere St. Galler Kirche messen lassen darf und soll.
Sich engagieren
Diese Bedeutsamkeit bleibt gewahrt, solange die Kantonalkirche, die Kirchgemeinden und letztlich wir Kirchbürgerinnen und Kirchbürger Strukturen und Ressourcen vorfinden, um in unserer Gesellschaft als glaubwürdige, klar positionierte, selbstbewusste Partner aufzutreten. Mit jener Gestaltungskraft, die schon jetzt mancherorts zum Beispiel Mittagstische, Spital- und Gefängnisseelsorge, offene Jugendarbeit oder Lebensmittelabgaben für Bedürftige initiiert und unterstützt. Mit einem tiefgreifenden Anspruch, der über die Komplexität jeder Suchmaschine hinausgeht. Mit Worten aus der «St. Galler Kirche 2025» formuliert: «Wir engagieren uns für ein gelingendes Leben».
Text: Philipp Kamm, Synodepräsident, Ebnat-Kappel | Foto: meka
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