Kirche, Diversität und Inklusion

von Annette Spitzenberg
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01.04.2025
Historisch gesehen haben die Kirchen oft ausgegrenzt, ja sogar verfolgt und gefoltert. Heute setzt die reformierte Kirche der Schweiz auf Inklusion und Diversität. Viele Spezialpfarrämter und Arbeitsstellen zeugen davon. Schwieriger ist es, dies lokal umzusetzen und zu leben. Müsste eine gelingende Inklusion gar Spezialpfarrämter (fast) überflüssig machen?

Sollen Kinder mit einer Beeinträchtigung Regelklassen besuchen oder eine Sonderklasse? Wie gelingt Inklusion und Integration? Als Mutter zweier Kinder mit ADHS stellte sich die Frage damals bei der Einschulung meiner älteren Tochter. Sie hatte Glück und landete bei einer guten und unterstützenden Grundschullehrerin. Ich war dankbar, konnte sie die Regelschule besuchen. Heute wird das Inklusionsmodell gefördert. Doch je nachdem kann es tatsächlich eine Regelklasse sprengen, wenn zu viele in einer Klasse Sonderbedarf haben. Es kann sogar im Sinne des Kindes sein, den Weg der Separation zu wählen.

Spezialpfarrämter

Die reformierten Kirchen der Schweiz wählen mit ihren Arbeitsstellen und Spezialpfarrämtern einen Ansatz, der unserer gesellschaftlichen Diversität Rechnung trägt, sie geht hin, wo sich die Menschen befinden. Dies betrifft insbesondere den Bereich der Seelsorge. Es gibt Spitalseelsorge, Seelsorge in psychiatrischen Kliniken, in Langzeiteinrichtungen (Pflegeheime), in Hospizen, in Gefängnissen, in Bundesasylzentren, an Institutionen für Beeinträchtigte, an Gymnasien, an Hochschulen und Universitäten. Daneben gibt es Spezialpfarrämter, welche sich bestimmten Milieus und Berufsgruppen widmen. So gibt es eine Polizeiseelsorge (Zürich), eine Aidsseelsorge (Zürich), Seelsorge im Rotlichtmilieu (katholisch Basel), Seelsorge für Fahrende (katholisch), Seelsorge für Schausteller, Chilbi und Zirkusse. Es gibt Seelsorge an Reisebrennpunkten wie Bahnhöfe, Flughäfen und sogar Autobahnraststätten.

«Wie können Menschen mit einer Beeinträchtigung dabei sein, wenn Kirchenräume nicht rollstuhlgängig sind?

Daneben gibt es spezielle Pfarrämter, so beispielsweise für LGBTIQAI* Menschen, für Gehörlose, für Beeinträchtigte. Daneben gibt es Pfarrämter für unterschiedliche Sprachgruppen (église française in St. Gallen). Es gibt Migrationspfarrämter, welche sich um die Integration von Kirchen aus anderen Kulturräumen bemühen, und sich engagieren im Bereich Migration und Flüchtlinge, und so weiter und so fort. Die Aufzählung ist nicht vollständig.

Dann gibt es Fachstellen, zum Beispiel für Arbeitslose, für Alter, für Palliative Care, Diakonie. Dabei gilt: Je grösser die Kantonalkirche ist, desto mehr Möglichkeiten hat sie für Spezialseelsorge und Fachstellen.

Namentlich die Seelsorgeangebote und die Spezialpfarrämter der Kirchen erreichen viele Menschen, welche keiner Kirche (mehr) angehören oder von sich aus nicht mit ihr in Berührung kämen. Doch wie steht es um die Inklusion und die Integration vor Ort?

Da ist es manchmal ein wenig wie bei den Schulklassen. Diversität und Inklusion kann Grenzen sprengen. Wie können lokale Kirchgemeinden Geflüchtete integrieren, wenn Gottesdienste auf Deutsch oder Mundart stattfinden? Wie können Menschen mit einer Beeinträchtigung dabei sein, wenn Kirchenräume nicht rollstuhlgängig sind? Wie Gehörlose, wenn keine Induktionsanlage vorhanden ist? Wie wissen queere Menschen, dass sie und wo sie willkommen sind? Inklusion oder Separation, die Frage lässt sich nicht immer für alle befriedigend lösen. Doch auch in kleinen Kantonalkirchen und Kirchgemeinden ist vieles möglich. Gerne denke ich zurück an die Konfirmation einer jungen Frau mit Beeinträchtigung. Eine stimmige Feier für Familie und Gemeinde!

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