«Kirche macht nicht vor nationalen Grenzen halt»
Im September findet die Vollversammlung der Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen in Europa GEKE in Basel statt. Warum Basel?
Gottfried Locher: In der Geschichte der schweizerischen Reformation spielt Basel eine wichtige Rolle. Unweit entfernt liegt das kirchliche Tagungszentrum Leuenberg. Hier wurde 1973 mit der -Leuenberger Konkordie die jahrhundertelange Trennung der Evangelischen Kirchen Europas beendet. 1978 entstand daraus die GEKE, sie feiert nun ihr 50-jähriges Jubiläum. Die Vollversammlung wird im einmaligen historischen Ambiente des Basler Münsters und des angrenzenden ehemaligen Bischofshofs tagen.
Spielt die Nähe zur Grenze zu Frankreich und Deutschland eine Rolle?
Sicher, schliesslich steht Basel auch für das vielsprachige Europa. Die Stadt am Rhein liegt am Dreiländereck, wo die Schweiz, Deutschland und Frankreich aneinandergrenzen. Ein guter Ort, wo die GEKE ihre Einheit in versöhnter Vielfalt sichtbar machen und vertiefen kann.
Was erwarten Sie von dieser Vollversammlung?
Die GEKE hat seit der letzten -Vollversammlung 2012 spannende Vorlagen zur Kirchengemeinschaft, Pluralität der Religionen und zum Bildungsauftrag der Kirche erarbeitet. Die werden in Basel diskutiert und verabschiedet. Wir wollen unsere -Kirchengemeinschaft stärken und vertiefen.
Sie sprechen von vertiefter -Gemeinschaft. Im Moment driften die Länder Europas auseinander und pochen auf ihre nationale Souveränität.
Unser Einheitsverständnis unterscheidet sich von den politischen Bemühungen um Allianzen, die von nationalen Interessen mitbestimmt sind, beispielsweise in der aktuellen Flüchtlingsdiskussion. Kirche steht für eine Gemeinschaft, die nicht an nationalen Grenzen haltmacht. Unser Modell der Einheit in versöhnter Vielfalt könnte zweifellos auch für die politische Diskussion fruchtbar sein.
Wie meinen Sie das?
Sich auf das Wesentliche zu verständigen, das eine Gemeinschaft eint, und gleichzeitig die Vielfalt zu pflegen, wäre auch im politischen Europa wichtig.
«Einheit in versöhnter Vielfalt» klingt gut eidgenössisch. Die Reformierten sind sehr verschieden. Hier treffen tief konservative Stimmen aus Osteuropa auf moderne und liberale Ansichten aus Deutschland.
Das Kerngeschäft der GEKE ist die Theologie, die Grundlage das Evangelium. Hier verlaufen Unterschiede nicht entlang der kulturell-politischen Ost-West-Linie, eher spielen konfessionelle Konstellationen eine Rolle.
Welche Rolle spielt die Grösse? Viele Reformierte leben in der katholischen und orthodoxen Diaspora. Etwa die Waldenser in Italien.
Dass in der GEKE grosse Mehrheitskirchen winzigen Diasporakirchen gegenüberstehen, erschwert den Dialog nicht, sondern bereichert ihn vielmehr. Die Herausforderung, in einer pluralen und zunehmend säkularisierten Gesellschaft überzeugend Kirche zu sein, ist letztlich überall ähnlich.
Was könnten die Schweizer Kirchen von anderen evangelischen Kirchen lernen, etwa von denen in Osteuropa oder den Waldensern in Italien?
Unsere Situation in der Schweiz ist durch ein engeres Verhältnis von Kirche und Staat geprägt. Dieses lockert sich zusehends, und wir können von unseren Schwesterkirchen lernen, selbstständiger und doch selbstbewusst Kirche zu sein.
Wenn man das Programm der Vollversammlung betrachtet, fehlen zwei Themen: Die Migration und die Stellung der Frau in der Kirche. Warum?
Frauenordination ist kein strittiges Thema innerhalb der GEKE; die gegenwärtige Situation in Lettland ist eine Ausnahme. Diskussionsstoff gäbe hingegen die Stellung von Frauen in kirchenleitenden Positionen, die in einigen Mitgliedkirchen noch nicht möglich ist. Leider beträgt der Anteil Frauen auch unter den Teilnehmenden der Vollversammlung nur rund ein Drittel. Und zur Migration: In Basel wird das Thema sein. Die GEKE möchte ihr Einheitsmodell für die Beziehungen zu neuen Migrationskirchen in Europa fruchtbar machen.
Wie können die Evangelischen -Kirchen Europas die Staaten bei der Migration unterstützen?
Die Kirchen müssen sich aufgrund ihres Auftrags in jedem Land für die Rechte von Migranten und Flüchtlingen einsetzen. Und sie müssen sich in ihren jeweiligen Ländern in der Betreuung und Integration engagieren. Je nach aktuellem politischem Klima kann das eine grosse Herausforderung sein.
Zu einem anderen Thema: In Basel unterschreiben Kardinal Kurt Koch und Sie eine Absichtserklärung zum offiziellen Dialog zwischen Vatikan und der GEKE. Was wird sich durch diese Erklärung verändern?
Zum ersten Mal überhaupt beginnt der Vatikan einen Dialog mit einer regionalen, also nicht globalen Kirchengemeinschaft. Für die GEKE ist das ein weiteres Gütesiegel dafür, dass sie theologisch hochstehende und verlässliche Arbeit leistet. Das ist offenbar auch in Rom bekannt geworden. Andere Kirchenfamilien möchten wir in den nächsten Jahren auch ansprechen. Wir sind überzeugt, dass mit der «Einheit in versöhnter Vielfalt» ein sehr gutes Modell der kirchlichen Einheit vorliegt. Und wir wollen es weiterentwickeln und dabei auch von anderen Konfessionen lernen.
Vor knapp 30 Jahren fand die 1. Europäische Ökumenische Versammlung Europas in Basel statt. Es war ein Fanal für die Öffnung von Grenzen. Das Motto lautete: «Frieden in Gerechtigkeit». Wäre dies nicht ein Auftrag für die Kirchen Europas?
An der Versammlung haben die Kirchen Europas zur richtigen Zeit ihre Stimme erhoben gegen Armut, Krieg und Umweltzerstörung. Diese Botschaft prägt bis heute die ökumenische Agenda, in der GEKE genauso wie in der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen oder im Ökumenischen Rat der Kirchen. Jüngstes Beispiel für ein solches Engagement der Kirchen ist der Einsatz des Weltkirchenrates für die Versöhnung zwischen Nord- und Südkorea.
Tilmann Zuber, kirchenbote-online, 31. August 2018
«Kirche macht nicht vor nationalen Grenzen halt»