Kirchen gehören auch der Öffentlichkeit

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23.10.2017
Zu gross, zu teuer: Kirchengebäude sind zunehmend die finanziellen Sorgenkinder der Gemeinden. Johannes Stückelberger, Organisator des Schweizer Kirchenbautags, spricht im Interview über die vielen Möglichkeiten, die Kirchen bieten – und was bei ihrer Umnutzung schiefgehen kann.

Herr Stückelberger, warum ist das Thema Kirchenumnutzung gerade aktuell?
Weil sich immer mehr Gemeinden und Pfarreien mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Die Mitgliederzahlen gehen zurück, das Geld wird knapper. Und die Immobilien sind eine Riesenbelastung für das Gesamtbudget.

Ist es nicht sehr schmerzhaft für die Gemeinden, eine Kirche aufzugeben? 
Nicht überall. Es gibt eine Untersuchung, die zeigt, dass sich aktive Kirchgemeindemitglieder leichter von ihren Kirchen trennen als die nichtkirchliche Öffentlichkeit. Wer in der Kirche lebt, denkt an ihre Zukunft. Wer nicht mehr in der Kirche lebt, ist da eher konservativ.

Das klingt paradox.
In der Tat. Doch ist es irgendwie auch logisch. Wer nicht mehr Teil einer Institution ist, der hat den Anschluss verpasst. Er hat ein Bild, was diese Institution verkörpern müsste, und ist dabei stehen geblieben. 

Man könnte die Kirchen ja auch verkaufen, wie 2004 die St.Leonhardskirche in St. Gallen. Passiert das oft?
Öfter als wir bisher gedacht haben, das zeigt die Untersuchung von 200 umgenutzten Kirchengebäuden, die wir jetzt online gestellt haben auf der Webseite des Schweizer Kirchenbautags. Ein Grossteil dieser Gebäude sind allerdings Kapellen, die früher im Besitz von Freikirchen waren. Die lassen sich leichter verkaufen. Sie sind kleiner, nicht so dominant im öffentlichen Raum und haben oft einen eher häuslichen Charakter. Da kann man dann ein Zweifamilienhaus daraus machen oder ein Atelier. Viele Kapellen werden auch abgerissen und die Öffentlichkeit schert sich nicht darum.

«Die St.Leonhardskirche steht gut sichtbar in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs, sie ist eine Art Bahnhofskirche.»

Das ist in St.Gallen ja anders. Manche Menschen beklagen sich heute noch, dass man ihnen «ihre Kirche weggenommen hat». Was ist da schief gelaufen?
Die St. Leonhardskirche wurde an einen privaten Käufer veräussert. Die Kirchenbehörden haben versäumt, von diesem eine Machbarkeitsstudie zu verlangen. Und der Käufer hat es unterlassen, bei der Denkmalpflege nachzufragen, was man überhaupt mit dieser Kirche machen kann. Deshalb ist da bis heute nicht viel passiert.

Wie könnte eine Lösung für die St. Leonhards­kirche aussehen?
Ich persönlich bin der Meinung, dass sich die St. Galler Kantonalkirche wieder dieses Gebäudes annehmen sollte. Die sieht aber keinen Bedarf. Ich finde das ein bisschen kurzsichtig. Die St.Leonhardskirche steht gut sichtbar in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs, sie ist eine Art Bahnhofkirche. Sie bestimmt den öffentlichen Raum und wird deshalb immer mit der öffentlichen Institution Kirche in Verbindung gebracht werden. Wenn die Kirche das Gebäude nicht mehr will, ist die Message an die Öffentlichkeit: «Der Kirche geht es schlecht, es findet ein Ausverkauf statt.» Es gäbe ja auch die Möglichkeit, dass man die Nutzung zurückfährt, aber präsent bleibt. Oder dass man das Gebäude anderen Benutzern zur Verfügung stellt, die interessiert und bereit sind, sie in einem kirchlichen Sinn zu nutzen. Die Kirche würde davon profitieren.

Was für Kriterien müssten denn die neuen Nutzer erfüllen? Könnte man in einer ehemaligen Kirche zum Beispiel ein Restaurant betreiben?
Es ist heute beliebt, Restaurants in alten Feuerwehrmagazinen oder Fabriken aufzumachen, also warum nicht in einer Kirche? Es hat ja auch einen gewissen Charme, wenn man die alte Nutzung noch spürt. Es würde mich allerdings stören, wenn ein privater kommerzieller Betrieb das Kirchenrestaurant betreiben würde.

«Die Kirchengebäude gehören nicht nur der Kirche, sondern auch der Öffentlichkeit und müssen öffentliche Orte bleiben.»

Warum?
Die Kirchengebäude gehören nicht nur der Kirche, sondern auch der Öffentlichkeit und müssen öffentliche Orte bleiben. Deshalb ist es am besten, wenn eine öffentliche Institution sie nutzt, für Schulräume zum Beispiel oder eben auch als Café oder Restaurant. Überhaupt darf man die Problematik des Kirchenraums nicht immer nur aus der Perspektive der Kirche sehen. Man muss sich auch die Frage stellen: Was erwarten Mitbürger, die nicht in der Kirche aktiv sind, von Kirchengebäuden?

Wäre es möglich, dass Muslime eine Kirche als Gottesdienstort nutzen?
Die katholische Bischofskonferenz verbietet es, Kirchen anderen Glaubensgemeinschaften zur Verfügung zu stellen. Auch der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) rät davon ab. Ich persönlich fände es durchaus denkbar, dass Muslime eine Kirche für ihren Gottesdienst nutzen. Wie Juden und Christen gehören die Muslime einer abrahamitischen Religion an. Es gibt eine gemeinsame Geschichte. Gerade im Zeichen des interreligiösen Dialogs könnte es ein Signal sein, Muslimen einen öffentlichen Raum zur Verfügung zu stellen, den sie nicht bekommen, wenn sie selber bauen. Denn nicht öffentlich-rechtlich anerkannte Institutionen dürfen nicht auf öffentlichem Grund bauen, deswegen sind die meisten Moscheen immer noch in Hinterhöfen oder Industriegebieten.

Worauf sollten Kirchgemeinden achten, wenn sie sich eine Umnutzung überlegen?
Das Wichtigste ist, dass der Dialog im Vorfeld mit allen Beteiligten gut aufgegleist wird und alle Partner in den Prozess eingebunden sind: Die Kirchgemeinde, die zukünftigen Nutzer, die Denkmalpflege und eben auch die nichtkirchliche Öffentlichkeit.

 

Johannes Stückelberger ist Kunsthistoriker und lehrt an der Theologischen Fakultät der Universität Bern Religions- und Kirchenästhetik. Er ist verantwortlich für Konzept und Organisation des Schweizer Kirchenbautags, der am 25. August zum zweiten Mal stattfand.

 

Text: Marianne Weymann | Bild: Andreas Schwendener   –    Kirchenbote SG, November 2017

 

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