Klimaklage abgewiesen

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22.05.2020
Zürich, 20.5.2020 - Das Bundesgericht weist die Beschwerde des Vereins KlimaSeniorinnen Schweiz und vier einzelner Beschwerdeführerinnen ab, welche sich gegen den Nichteintretensentscheid des Bundes gewehrt hatten, ab. Die Beschwerdeführerinnen forderten vom Bund, ihre Grundrechte auf Leben und Gesundheit vor dem Klimawandel zu schützen. Die ablehnende Begründung des Bundesgerichts ist höchst problematisch: Die Schwelle von deutlich unter 2°C sei heute noch nicht erreicht und deshalb könne niemand jetzt schon die Einhaltung eines solchen Zieles einfordern. Das Bundesgericht macht damit die Klimakrise zum grundrechtsfreien Raum und deckt die hierzulande andauernden Unterlassungen von Bundesrat und Verwaltung beim Klimaschutz, welche die Einhaltung des Übereinkommens von Paris nachweislich immer unwahrscheinlicher machen. Der Vorstand des Vereins KlimaSeniorinnen empfiehlt seinen Mitgliedern den Weiterzug an den Europäischen Gerichtshof.

«Die Klimakrise ist die grösste Bedrohung für ein gesundes Leben. Besonders verletzliche Menschen wie meine Altersgenossinnen treffen extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen zuerst, das ist mittlerweile ausreichend belegt», sagt Rosmarie Wydler-Wälti, Co-Präsidentin der KlimaSeniorinnen. «Während der Klimawandel zusehends ausser Kontrolle gerät, ist die Politik von Interessenskonflikten blockiert. Mit dem nun vorliegenden Urteil hat sich auch das Bundesgericht Scheuklappen aufgesetzt, um rechtlich anspruchsvollen und politisch kontroversen Fragen aus dem Weg zu gehen. Der Grundrechtsschutz darf aber keine Frage der politischen Prioritäten sein. Die Grundrechte sind vielmehr die Leitplanke jedes Handels unserer Regierung. Es ist die Aufgabe der Gerichte, Grundrechtsverletzungen zu überprüfen und zu beseitigen.» führt Wydler-Wälti weiter aus.

Gerichtlichen Schutz für die Seniorinnen sieht das Bundesgericht erst, wenn die Folgen des Klimawandels unabwendbar sind

Das Bundesgericht stützt sich in seinem Urteil alleine und wenig konkret darauf ab, dass die rechtlich notwendige Intensität des Berührtseins in den Grundrechten erst bei nahender Überschreitung des völkerrechtlich verbindlichen Schwellenwertes von «deutlich unter 2 Grad Celsius» gegeben sei. Dies, obwohl die Umstellung auf diesen Kurs ein Kraftakt sein wird, der mindestens ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen wird. Das Bundesgericht weicht mit seinem Entscheid der Komplexität der Sache aus. Professor Reich hat in seinem Kommentar zur Klimakrise bereits auf diese Gefahr hingewiesen (LINK).

Im Urteil geht das Gericht nicht auf die Grundrechte der Einzelklägerinnen und deren heute bestehende gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Hitzewellen ein. Die besondere Betroffenheit der KlimaSeniorinnen negiert das Gericht zwar nicht explizit. Sämtliche Beschwerdeführerinnen – wie der Rest der Bevölkerung – seien aber nicht in der «erforderlichen Intensität» in ihren Grundrechten berührt, weil für die Abwendung einer Erwärmung von über «deutlich unter 2 Grad» noch Zeit bestehe. Dem Urteil zufolge soll man sich erst wehren können, wenn unumkehrbare Grundrechts-Schäden vorliegen. Aber die Schutzpflicht beispielsweise gegen Erdbeben besteht nach dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht erst, wenn das Erdbeben da ist. «Der Staat ist in der Pflicht, das Leben der Beschwerdeführerinnen hier und heute präventiv zu beschützen, indem er den zur Erreichung des deutlich unter 2-Grad-Ziels erforderlichen Absenkpfad verfolgt», sagt Georg Klingler, der für Greenpeace den Fall seit Anfang an begleitet.

Die Niederlande sind der Schweiz weit voraus

Anders als das Bundesgericht urteilten die holländischen Gerichte nach detaillierter Auseinandersetzung mit der Materie, dass es ein grundrechtlich gebotenes Mindestmass an Klimaschutz zu erfüllen gilt. Die Gerichte stellten fest, dass die niederländische Regierung zum Schutz der Menschenrechte, die Emissionen dringend und erheblich reduzieren muss. Derweil wird die Schweiz mit Bundesrätlicher Billigung aller Voraussicht nach nicht mal das zu schwache 20%-Reduktionsziel für 2020 erreichen.

Dieser „Nichtentscheid“ des Bundesgerichts hat weitreichende Auswirkungen: Grundrechtsschutz im Klimabereich ist damit inexistent. Der Vorstand des Vereins KlimaSeniorinnen empfiehlt darum seinen Mitgliedern die Anfechtung des Urteils beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

 

Kommentar

Rolle der Kirchen

Unter dem Aspekt der «Bewahrung der Schöpfung» sind auch die Kirchen in diesem Themenbereich zur Stellungnahme aufgefordert. Es gilt von kirchlicher Seite zu prüfen, inwieweit auf der Basis des vorliegenden Urteils das weitere Vorgehen zu wählen ist. Grundsätzlich ist der politische Weg demjenigen der Gerichte vorzuziehen, da gesetzliche Grundlagen ohne breiten politischen Prozess zu Papiertigern führen, die wiederum das Prozesswesen ausweiten.

Die Themenbereiche «Klima, Umwelt und Lebensgestaltung» sind als konkrete Themen auch in die Verkündigung durch Worte und Projekte aufzunehmen und in den breiteren gesellschaftlichen Diskurs einzubetten. Forschung und Lehre sind hier gefordert, entsprechende pragmatische Grundlagen für den Einsatz in Kirchgemeinden (Unterricht, Erwachsenenbildung, Projektarbeit) anzubieten. Bereits vorhandene Grundlagen sind breiter vorzustellen und zugänglich zu machen. Eine offizielle Haltung durch Stellungnahmen der Kirchleitungen (EKS und Kantonalkirchen) ist zu begrüssen. Die Parteinahme der Kirchen sollte dabei über das Thema und nicht über die weltanschaulichen Ausrichtung der Klima-Aktivisten geschehen.

Heinz Mauch-Züger, Leitender Redaktor magnet

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