Konversion und Asyl: «Ein Generalverdacht ist nicht angebracht»
Zurzeit erregen die Bilder der unzähligen Flüchtlinge in Lampedusa die Gemüter. Die Länder Europas sind herausgefordert, auch im Entscheid, wer ein Recht auf Asyl hat. Ausschlaggebend für die Anerkennung ist, dass man in der Heimat aus politischen, ethnischen, aber auch religiösen Gründen diskriminiert, gefoltert oder gar inhaftiert wird. Häufig betrifft dies Christinnen und Christen.
Das wirft neue Fragen auf: Wie soll der Staat mit Menschen umgehen, die vor oder während des Asylverfahrens die Religion wechseln und deshalb in ihrem Herkunftsland bedroht werden? Und ist ihre Konversion glaubwürdig? Diesen Fragen geht eine Studie der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) nach. Verfasser sind der Ethiker Frank Mathwig und der Migrationsexperte David Zaugg. Es habe vereinzelt Anfragen aus Kirchgemeinden gegeben, wie man mit Asylsuchenden umgehen solle, die sich für den christlichen Glauben interessierten, sagt David Zaugg zum Anlass der Studie. In der Schweiz handle es sich aber um Einzelfälle, verlässliche Statistiken dazu gebe es nicht. Anders in Deutschland. Während der Flüchtlingswelle 2015 gab es eine Reihe von Migranten, die Christen wurden und dies im Asylverfahren geltend machten.
Längerer Prozess der Bekehrung
Für Philippe Fonjallaz, Präsident der Menschenrechtsorganisation Open Doors Schweiz, ist der Weg zur Konversion ein kleiner Schritt in einem Prozess, der schon viel früher begonnen hat. Viele Asylsuchende seien bereits in ihren Heimatländern mit Christen und der Bibel in Kontakt gekommen, erklärt Fonjallaz. «Manche erleben eine übernatürliche Begegnung mit Jesus, sei es in Träumen, Visionen oder Erscheinungen, und bekehren sich sofort.» Andere treffen auf ihrem Fluchtweg nach Europa in den NGOs Christinnen und Christen, die ihnen helfen. Die Frage der Flüchtlinge «Warum macht ihr das?» führe zu tiefen Gesprächen über den Glauben.
Gibt es nicht auch Asylsuchende, die konvertieren, in der Hoffnung, leichter Asyl zu erhalten? «Wo die Not gross ist, gibt es auch Missbrauch», sagt Fonjallaz. Einen Generalverdacht lehnt er aber ab. Auch für David Zaugg ist ein Generalverdacht nicht angebracht. Es gebe gute Gründe, zum christlichen Glauben zu konvertieren. Gerade als Kirche erlebe man das immer wieder. «Zudem: Wer kann schon beurteilen, was in einem Menschen vorgeht?», so Zaugg. Weder der Pfarrer oder die Pfarrerin noch Behörden könnten das. Man müsse nach den Aussagen der Menschen urteilen, ohne naiv die Augen zu verschliessen. Auch eine vollzogene Taufe sei kein Beweis dafür, dass es jemandem mit seiner Bekehrung ernst sei.
Lange Geschichte der Glaubensflüchtlinge
Das Papier der EKS beleuchtet das Thema aus theologischer, soziologischer und rechtsethischer Sicht. Es erinnert daran, dass religiöse Verfolgung zu den ältesten Fluchtgründen der Menschheitsgeschichte gehört. Zahlreiche Glaubensflüchtlinge wie die Reformierten aus Locarno, die Hugenotten aus Frankreich oder die Buddhisten aus Tibet suchten in der Schweiz Schutz.
Gegenstand einer Konversionsprüfung im Asylverfahren könne nicht der Religionswechsel selbst sein, hält die Studie fest. Aus Sicht der Kirchen gelte: «Wenn die Kirche eine geflüchtete Person tauft und aufnimmt, entscheidet sie nicht über deren Bleiberecht oder Schutzstatus.» Theologisch gehe es um Bürgerrechte im Reich Gottes und nicht um politische Rechte, die säkulare Staaten gewähren. Für staatliche Behörden hingegen sei die Gefährdungslage im Herkunftsland entscheidend.
Diese Ansicht teilt auch Philippe Fonjallaz. Er weist darauf hin, dass das Staatssekretariat für Migration bemüht sei, eine angemessene Einschätzung der Religionsfreiheit in den Herkunftsländern vorzunehmen. Dabei seien die Rückmeldungen der Hilfswerke über die aktuelle Situation in diesen Ländern wichtig. Und da sieht die Lage teils gravierend aus: Nach dem Weltverfolgungsindex, den das Hilfswerk Open Doors jährlich erstellt, werden rund 360 Millionen Christinnen und Christen diskriminiert oder verfolgt. An den vorderen Stellen stehen Länder wie Nordkorea, Somalia, Jemen, Eritrea, Libyen, Nigeria, Pakistan, Iran, Afghanistan und Sudan. Dort kommt es regelmässig zu Übergriffen auf Andersgläubige. Wer sich in diesen Staaten vom Islam abwendet, dem droht die Todesstrafe.
Während die Behörden eine Sensibilität für das Thema zeigten, ist dies bei den Medien wenig der Fall. Philippe Fonjallaz: «Leider stellen wir fest, dass die Medien zu wenig über die Verletzung der Religionsfreiheit und insbesondere über die Verfolgung von Christen berichten. Als Beispiel nennt er China. Wenn über die Verletzung der Religionsfreiheit in China berichtet werde, gehe es oft nur um die Situation der muslimischen Minderheit der Uiguren. Dabei sei es wichtig, alle religiösen Minderheiten zu schützen.
Konversion und Asyl: «Ein Generalverdacht ist nicht angebracht»