«Lasst die Sau raus!»
«Vor Kurzem standen sie noch Schlange an der Wettkasse. Jetzt toben die Olmagäste auf den dicht besetzten Rängen der Arena, das Handy in der Hand. Viele haben auf mich gewettet. Ich bin ‹Blitz›, die Rennsau. Die Namen, das wissen die Veranstalter, müssen einprägsam sein, witzig und doch bodenständig. Ich habe mich für dieses Rennen qualifiziert. Keine Selbstverständlichkeit, denn nicht jede Sau wird genommen. Klar ist: women only. Es laufen keine Eber, die sind zu wehleidig.
Schnürsenkel auf, frech sein
Ich bin verspielt und lernbegierig, schlauer als ein Hund, kann über 250 Tricks, wenn man mich lässt. Das machte ich mir im Stall der Familie Milz in Amlikon-Bissegg TG zunutze. Ich öffnete mit meinem Schnörrli die Schnürsenkel der Herrin, drängte mich vor, war frech. Gewitzt sein und ein bisschen schlitzohrig, das führt zum Ziel: Denn ich will in die Stadt, da ist was los.
Körperlich bin ich fit. Und so kam ich ins Trainingscamp auf unserem Hof. Als eingeschworene Bande rasten wir täglich im Kreis über die Wiese. Musik und andere Geräusche schallten über den Hof. Wir lernten, das Mäntelchen zu tragen. Wir rannten um die Wette, wissend, dass am Ende eine Hafersuppe und die Olma auf uns warteten.
Manser, der Kuhflüsterer
Jetzt bin ich am Start, in der Stadt. Das rosa Mäntelchen mit der Aufschrift ‹saugut!› steht mir gut. Kuhflüsterer Christian Manser, (der uns Schweine und Menschen versteht), treibt die Massen an, animiert zur ‹Welle›, zum Applaus. ‹Die Sauen sind heiss aufs Rennen›, brüllt er in seinem unverkennbaren Innerrhoder Dialekt. Und ja, wir haben heiss, weil wir nicht schwitzen können, und ja, wir sind heiss aufs Rennen, freuen uns. Auch wenn die Stimmen der Tierschützerinnen und Tierschützer lauter werden. Wir lieben es, beschäftigt und gefordert zu werden, wir sind nicht verschlafen oder faul, wir brauchen Herausforderungen, wir können puzzeln, kombinieren, – wenn man uns nicht in den öden Mastboxen zur Langeweile zwingt.
Gut, wir sind kurzsichtig, wie viele Menschen. Punkto Fleisch und Fettgewebe bin ich ihnen fast ebenbürtig, kognitiv habe ich den Stand eines Vierjährigen. Nur landet dieser später nicht wie ich auf dem Teller oder wird für wissenschaftliche Experimente missbraucht. Die über 9000-jährige Geschichte unserer Zweckgemeinschaft treibt Blüten. Aber die schönste ist dieses Rennen. Sieh nur, wie sie sich auf den Rängen über uns freuen. Wir berühren etwas im Städter wie im Landmenschen. Ist es unsere Ähnlichkeit, unsere jahrtausendealte Verbundenheit? Im Kreis, so scheint es, sind plötzlich alle gleich.
‹Lönd d Saue use!›, rufen die Kinder. Wir stehen im Pferch, warten, bis das Gatter fällt, die Bahn frei wird. Musik ertönt, triumphal, ohrenbetäubend. Noch einmal heizt Manser das Publikum an, dann geht es los. Endlich um die Kurven, Gas geben, zeigen, was wir drauf haben. Wir werden frenetisch gefeiert, blühen auf in der Gesellschaft und im Trubel, nicht nur wegen der Wette. Vielleicht ist es diese Musik? Ironie des Schicksals oder bewusst gewählt von den Organisatoren dieser traditionellen Messe, in der sich auch die Liebe zur Heimat widerspiegelt? Denn es erklingt eine Ouvertüre Rossinis, nicht irgendeine, sondern Wilhelm Tell. Ein Schelm, wer Böses denkt.
Ich bin saugute Zweite. Nun strömen die Leute wieder an die Wettkasse, und ich fahre wieder zurück aufs Land.»
Fokus Stadt und Land
Zwischen Alphorn und Yogamatte
Seit Jahren bewirtschaftet die Politik den Stadt-Land-Graben. Der Fokus Stadt und Land geht der Frage nach, ob es diesen Graben auch in der reformierten Kirche gibt. Ticken die Gläubigen im Münstertal anders als jene in Schwamendingen? Steht die Kirche auf dem Land noch im Dorf? Und wie funktioniert Kirche in der Stadt?
«Lasst die Sau raus!»