Mann!?
Die Infragestellung des Mannes als Oberhaupt der Familie und als Ernährer derselben hat Verschiebungen ausgelöst, die heute mit der Genderdiskussion eine neue intensive Ausstrahlung erhalten hat. Die Meinungen gehen weit auseinander.
Rollenbildung
Der Mann als Oberhaupt der Familie ist ein jahrtausendealtes Rollenbild, das von vielen Menschen als «naturgegeben» und je nach religiöser Ausrichtung als «gottgegeben» hingenommen wurde und wird. Der Mann als Ernährer ist eine Folge der Arbeitsentwicklung im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert. Am Anfang der Industrialisierung arbeiteten noch praktisch alle Familienmitglieder inklusive Kinder in den Fabriken. Mit den aufkommenden Arbeiterkämpfen und dem sich bildendem gewerkschaftlichen Widerstand setzten sich schrittweise Veränderungen durch, welche die Frauen dem häuslichen Bereich und die Männer dem Erwerbsbereich zuordneten.
Diese Aufteilung erschien der bürgerlichen Welt sehr bald als richtig. In ihr wurde die natur- oder gottgegebene Überlegenheit des Mannes in der Zeit der Veränderungen etwas angekratzt, jedoch in keiner Weise in Frage gestellt. Mit der politischen Entwicklung von parlamentarischen Systemen konnten solche Infragestellungen ins sogenannt linke Lager verortet werden. Bürgerlich-liberale Kreise, zu welchen der absolute Grossteil der Arbeitgebenden gehörte, waren sich gewiss, dass sie die Kontrolle behalten würden.
Verschiebungen
Seit den sechziger Jahren ist durch die Thematisierung der politischen Gleichberechtigung jedoch mehr und mehr Bewegung in das herrschende Rollenbild des Mannes gekommen. Mit der Genderdiskussion der vergangen paar Jahre sollte es deutlich geworden sein, wie sich hinter dem Wort «Mann» ein komplexes Denksystem verbirgt, das bewusst und unbewusst Werte und Verhalten nicht nur im Umgang mit Frauen, sondern auch mit Fremdem und Unbekannten impliziert. Die Sprache als Ausdruck und gleichzeitig Prägung des Denkens offenbart wertende Haltungen weit über die oft gehörte Begrüssungsfloskel «Sehr geehrte Besucher, die Frauen sind natürlich mitgemeint» hinaus. Längst steht «Mann» nicht mehr nur in Frage in Bezug auf «Frau», er steht auch in Frage in Bezug auf alle Menschen, die dem Stereotyp von männlich und weiblich nicht einfach entsprechen.
Mann und Kirche
Dass die christliche Religion und mit ihr die Kirche ihren Teil am Rollenbild «Mann» mitgeprägt haben, steht ausser Frage. Als weltanschauungsprägende Institutionen mit politischer Tragweite galt es, ein Gleichgewicht zu halten, das den anderen mächtigen Figuren (Kaiser, Könige, Arbeitgeber etc.) nicht zu sehr in die Quere kam. Immer jedoch keimte in dieser Kirche auch der Geist des Mannes aus Galiläa, der sich über gesetzte Vorstellungen hinwegsetzte, sich mit den falschen Leuten unterhielt und sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielt.
Ordensfrauen und -männer stellten über Jahrhunderte hinweg kirchliche Amts- und Machtausübungen immer wieder in Frage. Diesen Teil der Kirchengeschichte kennen die Wenigsten.
Neue Menschen
Mit dem «neuen» Mann kommen auch «neue» Frauen und alle «neuen» dazwischen oder darum herum. Diese «neuen» Menschen sind nicht besser als die alten. Sie tragen jedoch die Möglichkeiten in sich, welche die heutige Zeit braucht. Der Mensch aus Galiläa wüsste da wohl ein paar neue Gleichnisse zu erzählen.
Mann!?